Interview

Lucanus Polagnoli: „Ich wollte am zweiten Tag kündigen“

Lucanus Polagnoli ist über das Segeln mit der Welt des Geldes in Kontakt gekommen.
Lucanus Polagnoli ist über das Segeln mit der Welt des Geldes in Kontakt gekommen.Clemens Fabry
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Lucanus Polagnoli wuchs in einer Künstlerfamilie ohne Geld auf. Dass er heute die Venture Capital Firma Calm Storm leitet, verdankt er vor allem dem Attersee. Über das Segeln kam er mit der Welt des Geldes in Kontakt.

„Die Presse“: Sie kommen aus einer Künstlerfamilie. Gab es dort Geld?

Lucanus Polagnoli: In unserer Familie gab es gar kein Geld. Ich bin ohne Auto aufgewachsen, wir sind zum Geschäft gefahren mit dem Schlitten im Winter. Mich hat das nicht gestört. Es wurde mir erst bewusst, als ich gesehen habe, dass es im Vergleich zu anderen Kindern einschränkt war, dass gewisse Freiheiten nicht da sind.

Wann war das?

Wie schlecht wir ökonomisch dagestanden sind, habe ich erst im Nachhinein erfasst. Ich habe trotzdem nicht das Gefühl, dass es mir schlecht gegangen ist. Die wichtigen Dinge im Leben habe ich mitbekommen.

Haben Sie auch künstlerisches Talent mitbekommen?

Aus meinem Hintergrund kommt der Sinn für Schönes. Es ist völlig egal, ob das alt ist oder neu. Ich habe gelernt, dass ein Kratzer manche Sachen attraktiver macht, als wenn das Hochglanz ist.

Sammeln Sie Kunst?

Die Sachen, die mir gefallen, kann ich mir meistens nicht leisten. Aber ich hebe alle Sachen auf, die meine Kinder machen. Es hängen auch ein paar hier in meinem Büro. Ich sammle Eindrücke, nicht unbedingt Gegenstände.

Welches Kunstwerk würden Sie sich gern leisten können?

Die allerbesten Bilder sind für mich die von Klimt und Schiele, die man unter anderem im Leopoldmuseum sehen kann. Würde so ein Kunstwerk bei mir zu Hause hängen, wäre es aber der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Ich habe aber einen Künstler ein berühmtes Klimt-Gemälde nachmalen lassen. Klimt hat einmal eine Insel am Attersee gemalt, bei der Insel wohnen wir im Sommer. Der Künstler hat ein Bild in der gleichen Größe und im gleichen Stil gemalt, aber mit einer ein bisschen anderen Perspektive.

Inzwischen sind Sie mitten in der Geldwelt angekommen, seit 2020 leiten Sie eine Venture-Capital-Firma. Wie kam das?

Ich hatte unheimlich viel Glück in meinem Leben. Dazu gehört, dass ich am Attersee aufgewachsen bin. Meine Mutter wollte unbedingt an den See, weil meine Familie mütterlicherseits seit jeher dort gelebt hatte. Ich bin als 13-Jähriger segeln gegangen, anstatt nur auf dem Fußballplatz rumzuhängen. Und wer geht denn segeln? Das sind die Unternehmer, das ist die reichere Bevölkerung, die sich diesen Sport leisten kann. Ich bin durch meine sportlichen Erfolge eingeladen worden, auf diesen tollen großen Booten mitzufahren. Ich hätte mir das sonst nicht leisten können.

Wann war Ihnen klar, dass Sie in die Welt des Geldes eintauchen wollen?

Durch diese Peer-Group bin ich dazu gekommen, dass Wirtschaft, Management und Unternehmertum für mich interessant wurden. Es war bald klar, dass ich auf die Wirtschaftsuniversität gehe. Dann hatte ich noch einmal viel Glück. Unser Nachbar, mit dem ich oft in seinem wunderschönen Holzboot gesessen bin, hat mich zum Wirtschaftsprüfer geschickt, zu KPMG. Er hat gemerkt, dass ich Unternehmer werden will. Und er hat mir gesagt, dass mich der Job dort am besten aufs Unternehmertum vorbereitet. Bei KPMG habe ich mich viele Jahre bewiesen. Aber ich habe auch gemerkt, dass mein Verkaufstalent gepaart mit meinem Finanzwissen sehr viel wert ist – aber nicht unbedingt in der Wirtschaftsprüfung. Bei KPMG ist das Finanzwissen, also das Rechnen, viel wichtiger als das Verkaufstalent. Also bin ich in die Restrukturierung gegangen, da spielt auch Kommunikation eine größere Rolle. Und dann bin ich zu Venture Capital gekommen. Dort sind Kommunikation und Rechnen wichtig.

Hat Sie dieses Gefühl, Ihre Talente nicht voll entfalten zu können, in der Arbeit beschäftigt?

Jeden Tag. Es war immer eine Balance zwischen „schau, was ich da alles lernen kann“ und „schau, ich passe da nicht her“.

Es war also von Anfang an klar, dass das nur auf Zeit ist?

Bei der KPMG wollte ich schon am zweiten Tag kündigen. Aber ich bin niemand, der am zweiten Tag aufgibt. Ich war sieben Jahre dort.

Jetzt haben Sie das Gefühl, dass es passt?

Jetzt bin ich genau da, wo ich gern sein möchte. Die Frage ist, ob ich da auch gut bin. Das wird sich erst über einen längeren Zeitraum zeigen, weil das Venture-Capital-Game ist ein Long-Term-Game.

Als Chef einer Venture-Capital-Firma haben Sie mit ganz unterschiedlichen Gründern zu tun. Macht das etwas mit Gründern, wenn sie aus ökonomisch schwierigen Verhältnissen kommen?

Gründer, die wie ich aus ökonomisch schwierigen Verhältnissen kommen, haben auf der einen Seite mehr Antrieb, es zu schaffen und geben weniger schnell auf. Sie sind aber auch gehemmt, weil sie nicht nur „spielen“. Gründer aus reichen Familien gehen sehr große Risiken ein, weil sie immer weich fallen. Der große Vorteil, wenn man mit Kapital aufwächst, ist, dass man Geld als Funktion sieht, um etwas zu erreichen. Geld ist dann nicht das Ziel, weil man hat es ja schon. Leute aus ärmeren Familien trachten oft danach, endlich viel Geld zu machen. Wenn man sich das Portfolio anschaut, dann sieht man ganz genau, dass diejenigen, wo der Vater im Irak im Gefängnis gesessen ist, dann geflüchtet ist und die Familie nachgeholt hat, und dann irgendwann einmal die Kinder auf die Universität geschickt hat, die haben einen ganz anderen Drive als die, die aus einem reichen Haus kommen. Ich arbeite mit beiden Arten von Gründern gern zusammen. Wir haben erfolgreiche und nicht erfolgreiche Gründer aus beiden Ecken.

Wie investieren Sie privat?

Ich habe das bisschen Kapital, das ich aufgebaut habe, ins Unternehmen gesteckt. Das erwarten auch die Investoren. Das einzige, das ich neben diesem Investment in die Firma habe, ist ein ETF für die Kinder und eine Vorsorgewohnung, die aktuell noch der Bank gehört. Das ist aber nicht ein Portfolio, das ich anderen empfehlen würde. Ich würde niemandem empfehlen, dass er sein ganzes Geld in Venture Capital steckt.

Ihr erster Fonds hat in Digital-Health-Start-ups investiert. Nun investieren Sie auch in Unternehmen mit Gründern aus Österreich. Was ist es für eine Qualifikation, Österreicher zu sein?

Gar keine. Da geht es eher um uns. Wir investieren oft so früh, dass die Produkte noch nicht wirklich da sind. Wir können zu diesem Zeitpunkt das Produkt nicht beurteilen. Was wir aber beurteilen können, ist der Gründer. Weil wir inzwischen eine große Community sind und viele österreichische Gründer als Investoren mit an Bord haben, haben wir einen guten Zugang zu Talenten und können diese besser beurteilen. So haben wir einen Vorteil gegenüber anderen, die eine regionale Begrenzung haben und zum Beispiel sagen, dass sie nur in Österreich investieren.

Polagnolis Firma Calm Storm investiert in Start-ups im Bereich Digital Health sowie in Sart-ups mit österreichischen Gründern.
Polagnolis Firma Calm Storm investiert in Start-ups im Bereich Digital Health sowie in Sart-ups mit österreichischen Gründern.Clemens Fabry

Aber es kommt nicht nur aufs Talent der Gründer an, es muss auch einen Markt für ein Produkt geben.

Wir sind nie Lead-Investor. Wir investieren ausschließlich dann, wenn ein Lead-Investor, der die Industrie versteht, investiert. In den meisten Fällen kommen die Start-ups aber zu uns, bevor sie einen Lead-Investor haben. Wir helfen dann bei der Suche und gehen nur mit, wenn wir den Lead-Investor gut finden.

Würden Sie sagen, dass es eine Kunst ist, ein Unternehmen aufzubauen und zum Funktionieren zu bringen?

Da gehört ganz viel Talent dazu. Verkaufstalent, ein Talent, die ganzen Nein-Sager nicht zu hören und die eigenen Leute mitzureißen. Und es ist ganz klar eine Kunst, Geld aufzustellen. So eine Idee umzusetzen, das ist ganz sicher Kunst.

Die Fonds von Calm Storm sind je 20 Millionen Euro groß und damit winzig im Branchenvergleich.

Wir bekommen auch ständig zu hören, dass so ein kleiner Fonds nicht funktioniert. Ob unser Geschäftsmodell aufgeht, muss sich natürlich erst zeigen. Aber es schaut gut aus.

Was sind Ihre Ziele mit Calm Storm?

Das ist eine super Frage. Alle Venture Capitalists, die ich bis jetzt kennengelernt habe, wollen einen großen Fonds bauen. Ich bin offensichtlich der erste oder einer der ganz wenigen, die das nicht wollen. Das finden viele verrückt, weil nur bei einem großen Fonds bekommt man genug Gebühren, um damit gut zu leben und ein Team zu führen. Ich will aber eine große Firma bauen, die mehrere kleine Fonds managt. Jeder Fonds für sich soll ein Thema und seine eigene Lebensberechtigung haben. Wir wollen die Managementkosten über viele kleine Vehikel verteilen.

Sie bleiben also bei der Frühphase und wollen keine großen Runden finanzieren?

Je größer Sie sind, desto mehr Geld müssen Sie für Ihre Investoren zurückverdienen. Wenn Sie einen Fonds von 100 Millionen aufsetzen, brauchen Sie in Wahrheit schon einen Börsengang in Ihrem Portfolio. In Europa gehen Start-ups aber sehr selten an die Börse. Unser Fonds ist auf europäische Exit-Szenarien ausgerichtet. Start-ups werden dann verkauft oder gemerged.

Segeln Sie noch?

Nicht mehr kompetitiv. Aber ich habe letzten Sommer ein kleines Boot gekauft und fange wieder an, regelmäßig eine Stunde am Attersee zu verbringen. Vielleicht nehme ich irgendwann auch wieder an einem Wettkampf teil.

Zur Person

Lucanus Polagnoli (44) gründete 2020 die Venture-Capital-Firma Calm Storm, deren Fonds einerseits in Start-ups aus dem Digital-Health-Bereich investieren und andererseits in Start-ups mit österreichischen Gründern. Polagnoli stammt aus einer Künstlerfamilie, in der es wenig Geld gab, und wuchs am Attersee auf. Die Welt der Wirtschaft lernte der Unternehmer, der auch mehrere Jahre in der Wirtschaftsprüfung gearbeitet hat, beim Segeln kennen.

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