Tödliche Polizeischüsse

Gebäude angezündet: 150 Festnahmen nach Protesten in Frankreich

Demonstranten im Pariser Vorort Nanterre, wo der junge Mann erschossen wurde.
Demonstranten im Pariser Vorort Nanterre, wo der junge Mann erschossen wurde.APA / AFP / Geoffroy Van Der Hasselt
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In mehreren Städten kommt es zu teils gewaltvollen Protesten, Gebäude werden verwüstet. Politisch bricht eine Debatte aus: War es gerechtfertigt, dass der Polizist den 17-Jährigen bei einer Verkehrskontrolle erschoss?

Nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf einen 17-Jährigen hat es in Frankreich bei erneuten Ausschreitungen in der Nacht auf Donnerstag 150 Festnahmen gegeben. „Eine Nacht unerträglicher Gewalt gegen Symbole der Republik: Rathäuser, Schulen und Polizeistationen wurden angezündet oder angegriffen“, teilte Innenminister Gérald Darmanin am Donnerstag mit. In Paris und zahlreichen weiteren französischen Städten hatten Randalierer Fahrzeuge und Mülltonnen in Brand gesetzt.

Polizisten und Gebäude wurden mit Feuerwerkskörpern angegriffen - unter anderem in dem Pariser Vorort Nanterre, wo das Opfer wohnte, oder am östlichen Rand der Hauptstadt. Auch im südfranzösischen Nizza wurden zwei Polizeiwachen und Streifenwagen mit explodierenden Feuerwerkskörpern angegriffen. Randalierer errichteten Barrikaden und legten Feuer. „150 Festnahmen. Unterstützung für die Polizisten, Gendarmen und Feuerwehrleute, die mutig im Einsatz waren“, führte Darmanin weiter aus.

„Du kriegst die Kugel in den Kopf“

Der 17-jährige Nahel M. war am Dienstag auf dem Fahrersitz eines Autos bei einer Verkehrskontrolle in der Pariser Vorstadt Nanterre erschossen worden. In einem Video war zu sehen, wie zwei Polizisten das Fahrzeug für eine Kontrolle stoppten. Ein Polizist zielte dabei mit seiner Waffe auf den Fahrer und schoss aus nächster Nähe, als das Auto plötzlich beschleunigte.

Nach wenigen Metern krachte der Wagen dann in einen Pfosten. Nahel M. starb kurze Zeit später trotz Wiederbelebungsversuchen der Rettungskräfte durch eine Schusswunde in der Brust. Im Video war bei der Kontrolle zuvor der Satz zu hören: „Du kriegst eine Kugel in den Kopf.“

Südwestlich von Paris, in Clamart, zündeten Demonstranten eine Straßenbahn an.
Südwestlich von Paris, in Clamart, zündeten Demonstranten eine Straßenbahn an.APA / AFP / Emmanuel Dunand

„Ein Jugendlicher wurde getötet, das ist unerklärlich, unverzeihlich“, sagte Frankreichs Präsident Macron am Mittwoch in Marseille. „Nichts rechtfertigt den Tod eines jungen Menschen.“ Er hoffe auf „Gerechtigkeit“.

Polizeigewerkschaften kritisieren Macron

Alliance, einer der größten Polizeigewerkschaften des Landes, erklärte am Mittwoch, es sei „unfassbar“, dass Präsident Emmanuel Macron den Vorfall als „unerklärlich, unverzeihlich“ bezeichnet habe. Er sowie weitere „Politiker, Künstler und andere“ würden „unsere Kollegen verurteilen, noch bevor die Justiz sich geäußert hat“, hieß es weiter. Die Aufgabe von Politikern sei es, „zur Ruhe aufzurufen, die Gewalt in den Städten zu verurteilen“, statt „unter dem Eindruck von Emotionen“ zu handeln.

Unité SGP Police, eine weitere große Polizeigewerkschaft, erklärte, die „Unschuldsvermutung“ sei ein Gesetz und gelte für alle - auch für Polizisten. Die Gewerkschaft bezeichnete die „politische Vereinnahmung, die Reaktionen einiger Künstler und Sportler“ als „unanständig“, da sie „den Hass gegen Polizisten schürt“.

Die Rechtspopulistin und mehrfache Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen kritisierte die Reaktion Macrons als „sehr übertrieben“ und „unverantwortlich“. Ob die Tat „unverzeihlich“ oder „unerklärlich“ sei, müsse die Justiz entscheiden.

Rechtsextreme rechtfertigen Tod von Nahel

Die rechtsextreme Gewerkschaft France Police hatte in einem inzwischen gelöschten Tweet den Tod von Nahel gerechtfertigt. „Bravo an die Kollegen, die das Feuer auf einen 17-jährigen Kriminellen eröffnet haben. Indem sie sein Fahrzeug neutralisierten, schützten sie ihr Leben und andere Verkehrsteilnehmer“, hieß es darin.

Innenminister Gérald Darmanin nannte die Äußerung „inakzeptabel“ und verkündete, dass er gegen die Organisation vor Gericht ziehen werde. Er betonte, dass „France Police in keiner Weise eine repräsentative Gewerkschaft der nationalen Polizei“ darstelle.

„Kein Polizist hat das Recht zu töten, außer zur Selbstverteidigung“, twitterte der Chef der linkspopulistischen Partei La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon. Marine Tondelier von den Grünen beklagte eine „Amerikanisierung der Polizei“. Im französischen Parlament wurde am Mittwoch eine Schweigeminute für Nahel M. abgehalten.

Polizeichef stellt sich hinter Schützen

Polizeichef Laurent Nuñez stellte sich dagegen hinter den mutmaßlichen Schützen. „Er ist ein erfahrener Polizist, der das Vertrauen seiner Vorgesetzten hatte“, sagte Nuñez. Der 38-jährige Beamte und mutmaßliche Täter befindet sich in Polizeigewahrsam. Nahel M.s Mutter rief zu einem Trauermarsch für ihren Sohn am Donnerstag in der Nähe des Tatorts auf.

In Frankreich wird immer wieder übermäßige Polizeigewalt angeprangert. Nach Verkehrskontrollen starben im vergangenen Jahr 13 Menschen, so viele wie noch nie.

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