Wort der Woche

Auch Frauen haben Geschichte geschrieben

Ein schiefes Bild wird nun korrigiert: Nicht nur Männer haben Geschichte geschrieben – auch Frauen waren stets aktiv am Geschehen beteiligt. Drei Lesetipps für den Sommer.

Frauen haben immer etwa die Hälfte der Weltbevölkerung gestellt. Dennoch sind die Helden der Historiografie fast ausschließlich Männer“, stellt die britische Kulturhistorikerin Janina Ramirez – wie viele Zeitgenossen – fest. Doch anders als die meisten ließ sie dieser Erkenntnis auch Taten folgen: In „Femina“ erarbeitete sie eine „neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen“, so der Untertitel des eben auf Deutsch erschienenen Buchs (517 S., Aufbau Verlag, 29,50 €). Es geht ihr dabei nicht um eine (feministische) Umdeutung der Geschichte. Sie verwendet dieselben Fakten, Ereignisse und Belege, aber verschiebt die Sichtweise, indem sie bemerkenswerte Frauen in den Fokus rückt – prominente Persönlichkeiten wie die polnische Königin Jadwiga, die britische Kriegerin Æthelflæd oder Hildegard von Bingen genauso wie unbekannte, etwa die (weiblichen) Katharerinnen, die Frauen auf dem Teppich von Bayeux oder die Wikinger-Kriegerin von Birka, deren Grab lang für das eines Manns gehalten wurde. „Die Frauen des Mittelalters sind alles andere als unauffindbar“, merkt Ramirez an. Die Materialien seien immer schon da gewesen, man müsse sie nur wiederentdecken.

Genau das haben auch die deutschen Historikerinnen Henrike Lähnemann und Eva Schlotheuber gemacht: Sie haben das Tagebuch einer Nonne aus dem Heilig-Kreuz-Kloster bei Braunschweig und 1800 Briefe aus dem Benediktinerinnenkloster Lüne ausgewertet und legen mit ihrem Buch „Unerhörte Frauen“ nun ein Panorama des Lebens und Wirkens von Nonnen inner- und außerhalb der Klostermauern vor (222 S., Propyläen, 27,50 €). Das erlaubt tiefe Einblicke in spätmittelalterliche Philosophie, Musik und Heilkunde, aber auch in Machtstrukturen und individuelle Frauenschicksale.

Nicht weniger faszinierend ist das Buch „Witwenküsse“ von Friederun Pleterski, das einer der reichsten Frauen des frühneuzeitlichen Habsburger-Reichs, Anna Neumann von Wasserleonburg, spätere Gräfin zu Schwarzenberg, gewidmet ist (321 S., Verlag Johannes Heyn, 24,90 €). Basierend auf einem wiedergefundenem Tagebuch, angereichert mit viel Fiktion erzählt die Kärntner Autorin in Romanform das Leben dieser sechsmal verheirateten, aber dennoch unabhängigen Bankerin, die stets am Puls ihrer Zeit war, große Besitzungen verwaltete und als Protestantin inmitten einer erzkatholischen und patriarchalen Welt ihre Frau stellte. Geschlechterrollen waren immer schon fluide.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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