Interview

Wiener AMS-Chef: „Kaum bekommen sie den Asylbescheid, ziehen sie nach Wien“

Clemens Fabry
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Drei Viertel der neu anerkannten Asylberechtigten kommen nach Wien, sagt der neue Wiener AMS-Chef Winfried Göschl. Das sei nicht gut, denn die Arbeitsplätze seien im Westen.

Die Presse: In Wien lag die Arbeitslosigkeit zuletzt bei 10,2 Prozent, österreichweit waren es 5,7 Prozent. Was läuft falsch in der Bundeshauptstadt?  

Winfried Göschl: Wien ist die einzige Großstadt in Österreich, daher sind wir speziell mit der Migrationsproblematik konfrontiert. Weil der Zuzug so stark in die Städte geht, das ist nicht nur in Österreich so. Und das macht es sehr schwierig. Während der Asylwerberphase sind Asylwerber auf die Bundesländer aufgeteilt. Und kaum bekommen sie einen Bescheid, ziehen sie nach Wien. Derzeit ist es so, dass von den Asylberechtigten rund drei Viertel, die neu anerkannt werden, in Wien landen. Das ist nicht übermäßig gut, weil die Arbeitsplätze tendenziell im Westen sind. Und wenn sie einmal übersiedelt sind, ist der Weg zurück sehr schwer. 

Das heißt, der Hauptgrund für die hohe Arbeitslosigkeit in Wien ist die starke Migration?

Generell der starke Zuzug, nicht nur Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte. Wien ist in den vergangenen 30 Jahren um eine halbe Million Menschen gewachsen. Die Bevölkerung hat sich um 25 Prozent vergrößert. Der Vorteil ist, dass sie jetzt jünger ist. Der Nachteil ist, dass die Arbeitsplätze mit dem Bevölkerungswachstum nicht ganz mitgekommen sind. 

Was nützt uns eine jüngere Bevölkerung, wenn die Menschen nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden? 

Es ist ja nicht so, dass niemand arbeitet. Aber es ist ein hoher Integrationsaufwand. Es gibt Sprach- und Qualifikationsprobleme. Viele, die jetzt über das Asylsystem zuwandern, sind wahrscheinlich schon lang in Lagern in der Türkei und im Libanon gesessen. Viele sind nicht alphabetisiert. Es ist ein langer Weg, sie in Beschäftigung zu bringen. 

Laut Integrationsfonds haben sieben von zehn Asyl- und Schutzberechtigten mit Zuerkennung 2022 einen Alphabetisierungsbedarf. Wo fängt man da an?

Mit der Alphabetisierung, im schlimmsten Fall in der Muttersprache. Sonst funktioniert auch die Alphabetisierung in Deutsch nicht. Es gibt natürlich wahnsinnig Motivierte, die den Zug zum Tor haben und die Sprache rasch lernen. Die sind das Potenzial für die Fachkräfteausbildung des AMS.

Wie viele sind das?

Das lässt sich schwer einschätzen, weil beim AMS immer die bleiben, die es nicht gleich schaffen. Wir haben jedes Jahr 8000 bis 10.000 neue Menschen in der Kategorie Konventionsflüchtlinge und Schutzberechtigte, die neu beim AMS zugehen. Der Bestand steigt nur um 3500. Das heißt, ungefähr zwei Drittel schaffen es in Beschäftigung. Oder es mag auch sein, dass manche weiterziehen. Das wissen wir nicht so ganz genau. 

Arbeitsminister Kocher will, dass das AMS Arbeitslose effizienter vermittelt. Soll man den Druck auf Arbeitslose erhöhen? 

Druck bringt noch niemanden in Beschäftigung. Andererseits muss man schon die Mitarbeit der Betroffenen einfordern, zumal, wenn es zumutbare Arbeitsplätze gibt. Zumutbar heißt, es ist kollektivvertraglich entlohnt und arbeitsrechtlich sauber. Dann muss man als Gesellschaft erwarten können, dass Menschen die Arbeitsplätze annehmen, wenn sie Mindestsicherung, Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe beziehen. Weil es für ein bedingungsloses Grundeinkommen keine Mehrheit gibt, in keiner Bevölkerung der Welt, würde ich meinen. Dass jemand, der arbeitsfähig ist, nicht arbeitet, dass Menschen nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen, wenn sie können. 

Werden die Arbeitsplätze angenommen? 

Das Arbeitslosengesetz ist da ganz klar: Wenn ich eine zumutbare Beschäftigung ablehne, dann muss ich sperren. Da gibt es nicht einmal einen Ermessensspielraum. 

Wird das ausreichend exekutiert? Kommunizieren Betriebe und AMS genug?  

Da gibt es sicher noch Luft nach oben. Man muss zeitnah kommunizieren. Wenn das Gespräch 14 Tage zurückliegt, kann man sich nicht mehr daran erinnern. Aber es ist schon auch ein Thema, dass Menschen oft zu den Angeboten gar nicht hingehen. Und das geht nicht. Dass sie sich nicht vorstellen gehen – das ist eher ein Hauptgrund für Sperren, als dass während des Vorstellungsgesprächs ein Vereitelungstatbestand gesetzt wird. 

Das spricht wieder dafür, dass es noch zu wenig Druck gibt. 

Es spricht dafür, es wird aber auch nicht ganz möglich sein, alle Arbeitsplätze mit Druck zu besetzen. Wenn man sperrt, dann eher die weniger Geschickten. Wir haben natürlich auch das Thema mit der Flucht in den Krankenstand. Aber da können wir wenig machen. Solang die Ärzte die Menschen krankschreiben, können wir daran nichts ändern.

Wird das mehr?

Es wird jetzt nach Corona wieder weniger, aber es sind immer noch genügend, die unentschuldigt von solchen Terminen fernbleiben. 

Unternehmen klagen, dass sie keine Mitarbeiter finden. Ist es wirklich so schlimm? Oder sind Betriebe zu wählerisch und finden nur keine Leute zu den Konditionen, die sie bieten? 

Zu den Konditionen, die sie bieten, oder nicht die Leute, die sie sich vorstellen. In Österreich ist es relativ einfach, jemanden zu kündigen. Warum probieren sie es nicht einfach aus? Das verstehe ich nicht ganz. In der Probezeit kann ich von heute auf morgen jemanden kündigen. Manche entwickeln sich, manche haben soziale Fertigkeiten, die man auf den ersten Blick nicht sieht. Wir haben es wirklich versucht, aber unter dem Sprachniveau A2 nehmen Unternehmen keine Leute. Das kann ich nicht nachvollziehen. 

Arbeitsminister Kocher will die geringfügige Beschäftigung von Arbeitslosen zurückdrängen. Eine gute Idee?

Wir haben seit Jahren eine Einrichtung, die versucht, Menschen, die neben dem Arbeitslosengeld geringfügig arbeiten, zu vermitteln. Wir haben auch einen Dienst für Fälle, bei denen wir Missbrauch vermuten – dass nicht nur geringfügig gearbeitet wird, sondern darüber hinaus. Es ist zu vermuten, dass Arbeitslosigkeit durch Geringfügigkeit verlängert wird. Speziell für niedrig Qualifizierte ist das ein sehr attraktives Modell, das muss man ganz nüchtern sagen. Es ist ein relativ hoher Anteil von einem Lohn, den man für eine Vollzeitbeschäftigung kriegen kann. Kombiniert mit Arbeitslosengeld kommt man dann vielleicht aufs Gleiche, wie wenn man Vollzeit arbeiten geht. Ich finde es nicht gut, dass solche Dienstverhältnisse dann noch sozialversicherungsbegünstigt sind. 

Die Vermittlung Arbeitsloser in die Bundesländer soll forciert werden. Bis jetzt klappt das kaum. Kann das gelingen?

Wir unternehmen bereits seit vielen Jahren wahnsinnige Anstrengungen, weil wir glauben, dass das auch im Interesse der Arbeitskräfte ist. Es ist natürlich ein Asset, wenn sie auch woanders gearbeitet haben, das verbessert ihre Vermittlungschancen und erhöht die Verdienst- und Karrieremöglichkeiten. Aber es ist ein ständiges Bohren harter Bretter. Wir würden mehr Leute finden, die in andere Bundesländer gehen, wenn die Quartierfrage geklärt wäre. 

Zur Person

Winfried Göschl (60) ist seit 1. Juli Geschäftsführer des Wiener Arbeitsmarktservice (AMS). Er folgt Petra Draxl nach, die in den AMS-Vorstand Österreich gewechselt ist. Davor war er Vizechef des AMS Wien.

Clemens Fabry

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