Psychologin Natascha Klinser: „Beschränkter Raum kann zu Konflikten führen.“
Wachsende Stadt

Enger, lauter, vielfältiger: Was macht die Verdichtung Wiens mit uns?

Wien wächst: Schneller als prognostiziert wird es dichter, enger, das Leben lauter, vielfältiger. Was macht die Verdichtung der Stadt, der viele Zuzug mit ihren Bewohnerinnen? Ein Blick auf die Psyche einer Stadt, die wieder zur echten Metropole wächst. 

Es ist voll, es ist dicht. Man merkt das in Wien nun, im Sommer, da der Lebensstil der Coronazeit endgültig vorbei ist, an allen Ecken. Auf engen Gehsteigen, dicht gedrängt in U-Bahnen, in vollen Schanigärten, im Stau. Die Stadt ist voll, manchmal voller Leben, manchmal bedrängend eng.

Wien erlebt eine Zeit des starken Wachstums, mit 1. Jänner 2023 waren 1.982.097 Menschen hier wohnhaft – das sind nur jene, die einen Hauptwohnsitz angemeldet haben. Und, so erwarten es die Statistiker, schon heuer könnte Wien die Zwei-Millionen-Marke wieder erreichen. Frühere Prognosen gingen davon aus, dass Wien erst gegen Ende des Jahrzehnts wieder eine Zwei-Millionen-Metropole ist, aber Kriege machen Prognosen schwierig.

»Wir sehen es nach der Pandemie, die Menschen sind erleichtert, wieder viel in Kontakt zu sein«

Natascha Klinser.

Klinische Gesundheitspsychologin

Zuletzt hatte Wien im Jahr 1910 mehr als zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Das starke Wachstum kommt nun vor allem aus dem Ausland. 2022 ist Wien um rund 50.000 Menschen gewachsen, allein die Hälfte davon ging auf Geflüchtete aus der Ukraine zurück. Ein Viertel des Wachstums stammte von Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Iran.

Die Stadt verändert sich rasanter als prognostiziert. Was macht das mit den Menschen? Wie verändert sich das Leben in einer dichteren, engeren, lauteren, lebendigeren Stadt – einer echten Metropole, die manche, die sich ein beschaulicheres, ruhigeres Wien zurückwünschen, manchmal nicht mehr zu erkennen meinen?

Unfreiwillige Nähe

„Wir sehen es nach der Pandemie, die Menschen sind erleichtert, wieder viel in Kontakt zu sein, unterwegs zu sein“, sagt die Klinische Gesundheitspsychologin Natascha Klinser. Aber die oft unfreiwillige Nähe zu anderen kann auch Stress bedeuten. „Die Verdichtung, die wir sehen, bringt eine Beschleunigung, das kann Stress erzeugen, wenn Ressourcen wie der Raum beschränkt sind“, sagt Klinser. Das kann zu Konflikten führen.

Schließlich werden persönliche Distanzzonen verletzt, Menschen kommen immer wieder näher, als es als angenehm empfunden wird. Zur Stoßzeit in der U-Bahn, „aber da weiß man, das ist zeitlich und örtlich beschränkt“, so Klinser, aber auch im öffentlichen Raum – wenn man auf Gehsteigen kaum aneinander vorbeikommt, weil Wege eng sind, viele Leute unterwegs sind.

Von Stadtstress spricht Mazda Adli. Der deutsche Psychiater ist Stressforscher und Autor, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin und leitet an der Charité den Forschungsbereich „Affektive Erkrankungen“. Dem Stress in der Stadt hat er ein eigenes Buch, „Stress and the City“, gewidmet. „Man sieht an bildgebenden Studien: Das Gehirn eines Stadtmenschen reagiert empfindlicher auf Stress. Je länger jemand in der Stadt lebt, desto empfindlicher sind die Stress-Antennen eingestellt.“

Dichte, eine empfundene Enge des Umfeldes, in dem man lebt, habe definitiv einen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden, sagt Adli. „Dichte kann sich sehr unterschiedlich auswirken. Kompaktheit kann ein Vorteil sein. Overcrowding stellt aber auch einen der großen Stressoren da.“

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