Der ökonomische Blick

Steigt die Marktmacht von Unternehmen auch in Österreich?

Geschäfte in der Wiener Mariahilfer Straße. Neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass seit den 1980er-Jahren auch Europa von einem Trend steigender Unternehmensmacht betroffen ist. 
Geschäfte in der Wiener Mariahilfer Straße. Neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass seit den 1980er-Jahren auch Europa von einem Trend steigender Unternehmensmacht betroffen ist. (c) Leopold Nekula/Viennareport via www.imago-images.de
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Neuere Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass seit den 1980er-Jahren nicht nur die USA, sondern auch Europa von einem Trend steigender Unternehmensmacht betroffen ist.

In Zeiten hoher Inflationsraten wird neben der Lohnentwicklung auch das Preissetzungsverhalten von Unternehmen besonders aufmerksam beobachtet. Untersuchungen der EZB deuten darauf hin, dass Unternehmen in einigen Branchen ihre Marktmacht durch geschickte Preis- und Kommunikationspolitik in einer unübersichtlichen Gemengelage steigern konnten. Die daraus resultierende Gewinninflation geschieht aber vor dem Hintergrund einer längerfristigen Zunahme an ökonomischer Macht von Unternehmen und ist daher lediglich die Spitze eines Eisbergs. 

Neuere Forschungsergebnisse weisen nämlich darauf hin, dass seit den 1980er-Jahren nicht nur die USA, sondern auch Europa von einem Trend steigender Unternehmensmacht betroffen sind. Dieser Befund ist überraschend, weil doch Privatisierung, Globalisierung und Digitalisierung zu einer höheren Wettbewerbsintensität geführt hätten. Diese Erzählung gehört nach der Zeitschrift „Economist“ aber zu den großen Mythen der Managementliteratur. Vielmehr drohen Datenmonopole, Größenvorteile, gemeinsame Eigentümerstrukturen durch institutionelle Investoren oder unternehmerischer Einfluss auf die Politik einen Kapitalismus ohne Marktwirtschaft und damit der Ineffizienz und Ungleichheit hervorzubringen.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse“-Redaktion entsprechen.

In einer neuen Studie untersuchen wir, inwieweit zunehmende Marktmacht von Unternehmen in Österreich gegeben ist. Eine Zusammenschau der bisherigen Evidenz zu Marktmacht in Österreich macht deutlich, wie wenig eigentlich zu diesem für jede Marktwirtschaft zentralen Thema bekannt ist. Klar ist, dass lange Zeit eher der Schutz vor Wettbewerb als der Schutz des Wettbewerbs die Wirtschaftspolitik dominiert haben dürfte. Dies änderte sich substanziell erst mit dem EU-Beitritt, wobei dessen Effekte auf die Marktmacht keineswegs eindeutig sind.

Markups seit 1980ern deutlich gestiegen

Der meistverwendete Indikator, um diese Frage empirisch zu untersuchen, ist der Preisaufschlag auf die Grenzkosten, auch als Markup bezeichnet. Auf einem Wettbewerbsmarkt nimmt der Markup den Wert eins an; bei Marktmacht liegt er darüber. Vom Niveau her liegen die Markups in Österreich tendenziell über jenen in Deutschland und Belgien, aber unter den Werten für Italien. Auf Basis von Mikrodaten zeigen Untersuchungen eine Zunahme der Markups für Österreich von ca. 45 Prozent seit den 1980ern und von 35 Prozent seit der Jahrtausendwende (siehe Abbildung). Untersuchungen über Markups vor und nach dem EU-Beitritt ergeben entweder keine Abnahme oder aber sogar eine Zunahme der Marktmacht in Österreich.

Markups, 1995 bis 2019 (Daten: Kouvavas et al. 2021)
Markups, 1995 bis 2019 (Daten: Kouvavas et al. 2021)

Diese Ergebnisse werden durch Maßzahlen zur Gewinnentwicklung der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften in Österreich von 1995 bis 2020 bestätigt. Diese indizieren eine steigende Profitabilität der heimischen Unternehmen, die wiederum zumeist höher ausfällt als bei den Vergleichsländern. Besonders eindrücklich entwickelte sich die Nettoprofitquote, die in Österreich von minus 7,4 Prozent (1995) auf plus 19,2 Prozent (2020) anstieg. Diese auch von der EU-Generaldirektion Wettbewerb verwendete Kennzahl versucht, den reinen Unternehmensprofit (neben den Arbeitskosten werden auch die Kapitalnutzungskosten berücksichtigt) zu erfassen und ist daher besonders aussagekräftig, um zu beurteilen, ob die Unternehmen ihre höheren Markups auch in höhere Profite umsetzen können. Übrigens stieg die Nettoprofitquote auch in Deutschland und Belgien kräftig an, jedoch nicht so stark wie hierzulande; die italienischen Unternehmen verzeichneten eine abnehmende Profitabilität.

Der Beschäftigungsanteil in den Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten zeigt Konzentration wirtschaftlicher Macht. In den großen Branchen Gewerbe und Handwerk, Industrie und Handel nahmen die Beschäftigungsanteile in Großunternehmen von 2009 bis 2022 um ca. 51, 32 bzw. fünf Prozent zu. Der Anteil der Beschäftigten bei den größten 100 Unternehmen nach Umsatz stieg von 2007 bis 2020 ebenfalls an, von etwa 31 auf 37 Prozent.

Neugründungen in Österreich seit Jahren rückläufig

Die Dominanz von etablierten Unternehmen kann unter anderem durch Markteintritte weiterer Unternehmen reduziert werden. Leider ergibt sich hier für Österreich eine negative Dynamik seit den späten 2000er-Jahren – die Neugründungsraten gehen zurück, und zwar besonders bei wissensintensiven Gründungen. Entgegen der politisch und medial verbreiteten Euphorie über Entrepreneurship entwickelt sich Österreich gemeinsam mit den meisten anderen entwickelten Volkswirtschaften (inkl. USA!) immer mehr in Richtung konsolidierter, wenig dynamischer Märkte.

Zusammengenommen deuten die verfügbaren Indikatoren darauf hin, dass auch in Österreich, ganz im internationalen Trend, die Marktmacht von Unternehmen zugenommen haben dürfte. Dies eröffnet die Möglichkeit negativer Effekte. Selbst wenn einzelne Unternehmen ihre Marktmacht durch überlegene Effizienz erzielt haben, besteht die Gefahr, dass diese ihre dominante Position dazu nutzen, um Markteintritte zu verhindern und durch politisches Lobbying die Spielregeln zu verändern.

Die Wettbewerbspolitik sollte daher nicht nur wegen der aktuellen Inflationsentwicklung wachsam sein. Es gilt vielmehr, einen weiteren Anstieg von Marktmacht zu verhindern. Dazu bedarf es eines öffentlichen Sektors, der nicht durch die Interessen einzelner Unternehmen oder Branchen vereinnahmt wird, sowie einer Stärkung des institutionellen Gefüges zur Überwachung des Wettbewerbs in Österreich und Europa. Nach Walter Eucken entsteht Konkurrenz eben nicht durch Laissez-faire, sondern muss durch die „Auflösung wirtschaftlicher Machtgruppen“ als öffentliches Gut produziert werden.

Es ist an der Zeit, auch in Österreich nicht nur die Gewinninflation als Spitze des Eisbergs der ökonomischen Macht von Unternehmen genauer in den Blick zu nehmen.

Die Autoren

Christian Bellak
Christian Bellak

Christian Bellak ist außerordentlicher Professor am Department für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Industriepolitik und institutionelle Determinanten internationaler Faktorströme.

Christian Reiner
Christian Reiner

Christian Reiner ist Professor für Ökonomie und Statistik an der Lauder Business School in Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Regional- und Industrieökonomik sowie globale Warenketten und Kreislaufwirtschaft.

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