Konzertkritik

Springsteen in Wien: Eine Feier des Lebens

Kollektive Erinnerungen: Bruce Springsteen (links), Steven Van Zandt und Schlagzeuger Max Weinberg (hinten) im Ernst Happel-Stadion in Wien.
Kollektive Erinnerungen: Bruce Springsteen (links), Steven Van Zandt und Schlagzeuger Max Weinberg (hinten) im Ernst Happel-Stadion in Wien.APA / Hans Klaus Techt
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Hymnen auf Arbeit, Liebe, Freundschaft und Autobahnen: Fast drei Stunden spielten Bruce Springsteen und seine E-Street-Band im Wiener Praterstadion. Ein Triumph.

Gut, das erste Wort ist ein Auftakt: „well“. Doch schon das zweite, wiewohl noch auf eine unbetonte Silbe fallend, ist programmatisch: „we“. Hier beginnt, was der Ostbahn-Kurti ein Klassentreffen genannt hätte: die Feier der kollektiven Erinnerung. Mit der Schulzeit, wie sich‘s gehört, beziehungsweise mit deren Ende. „Well, we busted out of class . . .“ Dann noch die „three-minute records“ – Rock‘n‘Roll! –, und wir sind mitten in „No Surrender“, dieser atemlosen Hymne auf die Freundschaft in schweren Zeiten. Und wann sind keine schweren Zeiten? „Hard times come, hard times go“, wird Bruce Springsteen, noch lange nicht ermattet, fast zwei Stunden später in „Wrecking Ball“ singen. Dazwischen und danach: ein Konzert im umfassendsten Sinn, ein Miteinander.

Zumindest auf der Bühne auch physisch: Selten hat man Musiker einander so oft und innig umarmen gesehen. Bei vielen Stadionkonzerten nervt diese Feier des Miteinanders, bei anderen – etwa bei den Rolling Stones – wird sie grandios ironisch überhöht. Bei Springsteen nicht. Er ist ironiefrei. Er meint alles ernst. Auch darum passt bei ihm, was bei vielen Stadionkonzerten aufgesetzt bis peinlich wirkt: die Kamerafahrt durchs Publikum mit Großaufnahmen der Gesichter, die Rückkopplung der Begeisterung. Bei Springsteen ist die Begeisterung vor allem und wesentlich: Rührung. Es sind zwar nicht dieselben, aber die gleichen Tränen der Rührung, die man in seinem Gesicht und den Gesichtern der Zuschauer sieht.

Rührung worüber? Man verzeihe die pathetische Antwort (aber wann soll man pathetisch sein, wenn nicht bei der Rezension eines Springsteen-Konzerts): übers Leben. Über das individuelle Leben, wie es läuft und vergeht. Gerade war man noch Enkel, jetzt ist man Großvater, wir waren die Wildesten zwischen Simmering und Nebraska, die Wendy erkennt man kaum mehr, der Boss hat auch Falten, ist ja auch schon 73, vor der Bühne tragen zwei Väter ihre Buben auf den Schultern und singen laut mit: „Tramps like us, baby, we were born to run!“ Keine Ironie, so ist das. Streng lokalisiert – die Orte der Sehnsucht in Springsteen-Songs sind sehr konkret –, genau darum global: Die Südosttangente ist genauso voller gebrochener Helden wie der Highway 9. Und ja, persönlicher Einwurf, es funktioniert auch mit Radfahrwegen.

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