Tour de France

Felix Gall: Der steile Aufstieg eines Osttiroler „Buam“

Felix Gall trat auf der 17. Etappe mit seinem Husarenritt in den Mittelpunkt der Radsportwelt.
Felix Gall trat auf der 17. Etappe mit seinem Husarenritt in den Mittelpunkt der Radsportwelt. Imago / Tom Pham Van Suu
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Felix Gall wird für seinen Etappensieg bei der Tour mit Lob überhäuft, für Events, TV-Shows und Stadt-
Kriterien verpflichtet. Ein einziger Tagessieg veränderte sein Leben.

Bourg-en-Bresse/Wien. Ein Österreicher gewinnt eine Etappe bei der Tour de France, der größten Radrundfahrt der Welt. Und weil Österreich weder ein Sportland ist noch flächendeckende Sportkultur kennt, fragen sich viele umgehend, wie das einzustufen ist. Respektive, hier spricht die Nation jedoch aus leidiger Vorgeschichte ob patscherter Langläufer oder eines ehemaligen Bergtrikot-Siegers, ob denn da alles mit rechten Dingen zugegangen war. Die Einordnung gelingt schnell: dem Osttiroler Felix Gall, 25, ist Historisches gelungen.

Der zum Kapitän des AG2R-Teams aufgestiegene Osttiroler aus Nußdorf-Debant, einer 3500 Einwohner starken Marktgemeinde zu Lienz, stand auf der 17. Etappe in Courchevel ganz oben auf dem Podest. Zum fünften Mal gelang das einem Österreicher nach Max Bulla (1931), Peter Luttenberger (Once-Team-Zeitfahren, 2000), Georg Totschnig (2005) und Patrick Konrad (2021). Er schaffte es aber als Erster, der die „Königsetappe“ mit der Fahrt zum höchsten Punkt und Höhenmetern (5000) der Tour, gewinnen konnte. Das ist gleichbedeutend mit einem Grand-Slam-Sieg etwa, das gelingt nicht alle Tage. Und Doping? Seit 2013 gab es bei der Tour de France keinen positiven Test mehr. Das Gespenst scheint verschwunden. Eigentlich wie da Corona-Virus.

Er war Junioren-Weltmeister

Aber was zeichnet Gall aus, warum ist er jetzt so stark und fährt der Elite davon? Er ist Achter und damit in den Top 10 der Tour. Er wird, sollten Form und Verlangen am Samstag stimmen, sich auch das Bergtrikot zurückholen weil nur wenige Punkte (sechs auf den Italiener Giulio Ciccone) zur Spitze fehlen. Die 18. und 19. Etappe galten dazu, mitzufahren, Kräfte zu sparen, das Material (ihm stehen neun Räder bei der Tour zu Verfügung, wovon drei schon Defekte erlitten) zu schonen. Geht es nach Stephen Barrett, der Ire ist Galls Trainer im AG2R-Rennstall und schwer begeistert von seinem Schützling, ist Gall ein „Naturtalent“. Der ehemalige Triathlet und Golfspieler verstehe es wie kaum ein anderer, „konstant zu fahren“. Im flachen Terrain schlechter als man meine möge, im steilen dafür umso besser. Fokus, Willen, Mentalität – obschon der Anstrengungen der vergangenen Tage und über 2500 Kilometer schwer gelitten –; bei Gall stimme „in dieser Saison alles“.

Und der Quell seiner Kraft? Wieso fuhr Österreichs erster Junioren-Weltmeister seit 2015 unter dem kollektiven Radar? Auffällig wurde er bloß bei einzelnen Events, feierte bei der Tour de Suisse zwar einen Tagessieg und war vor dieser Tour trotzdem bloß einer aus dem rotweißroten Sixpack, der durch Frankreich fahren und seinen „Kindheitstraum“ erfüllen wollte.

Er wurde König – für einen Tag

Barrett sagt: „Aus meiner Sicht hat er am besten von allen auf das zweiwöchige Höhentrainingslager in der Sierra Nevada reagiert.“ In diesen Höhen über 3000 Meter trainieren fast alle Teams, tanken hier Profisportler quasi Sauerstoff. Es dient dem besseren Stoffwechsel, der Regeneration - und unter Belastung lernt der Körper, länger durchzuhalten.

Felix Gall: Galaktisch, Charles de Gall - die Superlative und Spitzenamen häufen sich.
Felix Gall: Galaktisch, Charles de Gall - die Superlative und Spitzenamen häufen sich.Imago / Pierre Teyssot

Das wäre ein Ansatz, ein anderer fußt in der Psyche. Gall wollte zwar schon „aussteigen“ aus dieser Tour, weil er seine „Beine nicht mehr spürte“ und an Defekten haderte, fuhr aber weiter. In der Rolle des Kapitäns, sagt Barrett, fühle er sich wohl, obgleich andere das Gegenteil erzählen. Der Zusammenhalt im Team sowie die erteilten Freiheiten jedoch sprechen für den 25-Jährigen, der es schafft, „Druck, Aufgabe und Rennen unter einen Hut zu bringen“ ohne dabei ander außer Acht zu lassen. Er wachse an der Aufgabe; und der Vergleich ist zulässig für viele andere Sparten auch. Es gibt sie, diese Überraschungen. Sie sind selten, aber gelingen. Und dann ist man eben „König von Frankreich“, zumindest für einen Tag.

2,3 Zentimeter, 3400 Kilometer

Zeit zu begreifen, was da passiert ist und wie sehr sich sein Leben mit einem Tagessieg verändert hat, bleibt Gall derzeit keine. Am Samstag folgt der Angriff auf das Bergtrikot, am Sonntag die Fahrt über die Pariser Champs Élysées. Nimmt er ansonst im Rennen die Umwelt kaum wahr, weil er zu sehr auf Richtung, Vordermann und Situation achten muss, wird er da eventuell etwas entspannen. Wer 3400 Kilometer auf einem 2,3 Zentimeter breiten Pneu bergauf-bergab gemeistert hat in knapp drei Wochen, hätte sich das auch verdient.

Imago / Fotoreporter Sirotti Stefano

„Gallaktisch“, „Charles de Gall“: Natürlich überhäuft die Szene den Österreicher nun mit Lobeshymnen während der Däne Jonas Vingegaard dem zweiten Toursieg nach 2022 entgegenfährt. Dass Gall diese Tortur nicht vergessen wird, dafür wurde vorgesorgt. Er startet nächsten Mittwoch beim Welser Stadtkriterium, ist am Donnerstag (erstmals) in Wien für Fotoaufnahmen in einem Autohaus. Sein nimmermüder PR-Botschafter zählte Termine bei ORF, ARD und „L‘Equipe“ auf, der Radstar wird beim Tennisturnier von Kitzbühel die Siegerehrung vornehmen.

Österreich hat einen neuen Sportstar. Er hat seinen Arbeitsplatz auf einem Radsattel, die Landstraße ist sein Büro - Felix Gall aber bleibt auf dem Boden. Er ist ein „Osttiroler Bua“.

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