Wort der Woche

Nachdenken über mögliche Zukünfte

Die Zukunft kann man nicht voraussagen. Doch ein systematisches Nachdenken über mögliche Zukünfte erlaubt es, die Entwicklung zu gestalten.

Eine Vorhersage, was in Zukunft geschehen wird, ist unmöglich. Es gibt aber Methoden, um sich „Zukünfte“ im Sinne von möglichen bzw. wünschenswerten Entwicklungen vorzustellen und exakt zu beschreiben. Dies geschieht z. B. am Joint Research Center (JRC) der EU, das alljährlich gemeinsam mit Fachleuten, Behörden und Sozialpartnern einen „Strategic Foresight Report“ erarbeitet. In der eben veröffentlichten strategischen Vorschau 2023 dreht sich alles um das klar formulierte Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden. Wie dieses Ziel zu erreichen ist, ist indes unklar und umstritten – siehe die aktuell hitzigen Debatten rund um den Green Deal.

Die Forschenden haben nun auf strukturierte und systematische Weise vier plausible und in sich konsistente Szenarien erarbeitet, die auf unterschiedlichen Wegen das Ziel erreichen (JRC133716). Im Szenario „Eco-states“ wird die Transformation, in Reaktion auf die Auswirkungen des Klimawandels, durch starkes staatliches Eingreifen vorangetrieben, u. a. durch ökologische Steuerreformen, gezielte Förderung neuer Technologien und öffentliches Engagement. Das Szenario „Green Business Boom“ beschreibt hingegen eine Gesellschaft, in der der unternehmerische Geist des Privatsektors die Bemühungen in Richtung Nachhaltigkeit anführt; angetrieben wird dies durch hohe Kosten, Knappheit und unzuverlässige Lieferketten. Das Szenario „Greening through crisis“ zeigt eine Welt, die mit permanenten Krisen zu kämpfen hat und in der die Politik die Risiken des Klimawandels in einer geopolitisch instabilen Welt zu bewältigen versucht. Im vierten Szenario „Glocal Eco-world“ schließlich nehmen die Bürger die Dinge selbst in die Hand und streben eine egalitäre Gesellschaft an, in deren Mittelpunkt lokale Lösungen, Solidarität und Suffizienz stehen.

Ob eines dieser Szenarien Realität wird, ist unmöglich vorherzusagen. Durch die Formulierung verschiedener Zukünfte werden aber mögliche Transformationspfade sowie Trade-offs bzw. Synergien sichtbar – und auf dieser Basis kann die Entwicklung durch Maßnahmen mitgestaltet werden. „Eine erfolgreiche und faire sozioökonomische Transformation ist keine Selbstverständlichkeit“, merken die Forschenden an. Handlungsbedarf sehen sie insbesondere in einem neuen Gesellschaftsvertrag, einer Umgestaltung der Finanz- und Steuersysteme, dem Ausbau von Kompetenzen und einer Neudefinition von Wohlstand bzw. Wohlergehen.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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