Der ökonomische Blick

Die öffentliche Hand als Preistreiberin

Wenn vergleichbare Eigenmarkenprodukte überall das Gleiche kosten, muss es sich doch um ein Kartell handeln, oder? (Symbolbild)
Wenn vergleichbare Eigenmarkenprodukte überall das Gleiche kosten, muss es sich doch um ein Kartell handeln, oder? (Symbolbild)Imago / Martin Wagner
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Warum es der Politik besser anstünde, vor der eigenen Türe zu kehren, als eine Treibjagd auf mutmaßliche Wettbewerbssünder in der echten Privatwirtschaft zu veranstalten.

Einer muss immer schuld sein. Das ist ein verhaltensökonomischer No-Brainer. Einen (vermeintlichen) Sündenbock gefunden zu haben, gibt uns Menschen ein unglaublich gutes Gefühl, weil damit die bequeme Unwahrheit einhergeht, dass wir sicher nicht schuld sind. Können wir auch gar nicht, weil eben eine andere die Schuldige ist. Über den eigenen Verantwortungsbereich genauer nachzudenken!? Lächerlich. Wir wissen doch: 

Der Hofer woar‘s vom Zwanzgerhaus …

Wenn vergleichbare Eigenmarkenprodukte überall das Gleiche kosten, muss es sich doch um ein Kartell handeln. Betreffend Inflation waren die Sündenböcke von der österreichischen Politik also rasch gefunden. Nur war diesmal nicht nur „der Hofer“ gemeint, sondern auch alle anderen Lebensmitteleinzelhändler (LEH), die dementsprechend von der Politik ihr Fett als „Inflationsbeschleuniger“ abbekommen haben.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse“-Redaktion entsprechen.

Faktum ist, dass es sich beim LEH (nicht nur) in Österreich um einen sehr stark konzentrieren Markt handelt, der von wenigen Unternehmen dominiert wird. Diese Marktform des engen Oligopols birgt ob der geringen Teilnehmerzahl eine große Gefahr für horizontale Kollusion in sich, wie der deutsche Volkswirt und Mathematiker Reinhard Selten bereits vor ziemlich genau fünfzig Jahren spieltheoretisch zeigen konnte.[1] In derartigen Konstellationen eröffnen sich für Handelsunternehmen vielfältige Möglichkeiten, ihre Marktmacht gegenüber Konsumenten und Produzenten (Lieferanten) auszuüben. Theoretisch. Und manchmal auch praktisch. Aber halt nicht zwangsläufig.

… der schaut mir wie a Kartellsünder aus!

Da eine hohe Marktkonzentration allenfalls eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine tatsächliche Beschränkung des Wettbewerbs darstellt, ist das Innehaben einer dominanten Marktposition per se auch (noch?) nicht untersagt. Gemäß österreichischem Kartellgesetz ist bloß der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung untersagt. Dieser Missbrauch ist vor dem Kartellgericht zu beweisen, was für die Wettbewerbsbehörden regelmäßig eine große Herausforderung darstellt. Ohne Insiderinformationen von Kronzeugen bleiben praktisch so gut wie alle Marktmachtmissbräuche und Kartellbildungen unentdeckt. Warten wir einmal die für Herbst angekündigte Branchenuntersuchung der Bundeswettbewerbsbehörde ab. Bis zum gerichtsfesten Beweis gilt – horribile dictu – auch für mutmaßliche Kartellsünder die Unschuldsvermutung. Auch für den Lebensmitteleinzelhandel. Nur so zur Erinnerung.

Jetzt ist es natürlich nicht so, dass einzelne Unternehmen des LEH nichts auf dem kartellrechtlichen Kerbholz hätten. Bemerkenswert ist allerdings, dass entdeckte Verstöße gegen das Kartellgesetz regelmäßig bloß vertikale Absprachen (mit Lieferanten auf einer vorgelagerten Wertschöpfungsstufe) oder Marktmachtmissbrauch gegenüber Lieferanten umfasst haben, aber nicht horizontale Absprachen (mit direkten Konkurrenten auf der gleichen Wertschöpfungsstufe). Kurz: Was dem LEH von der Politik unterstellt wird, konnte in Österreich noch nicht gerichtsfest nachgewiesen werden.

Dann sollte man diese Unterstellung der Fairness halber aber auch nicht unreflektiert in den öffentlichen Raum stellen. Dies umso mehr, als im eigenen Verantwortungsbereich für die Politik genug zu tun wäre, um den Wettbewerb zu beleben. Einen diesbezüglich besonders naheliegenden Bereich stellt die durch einen dichten regulatorischen Rahmen und durch öffentliches Eigentum geschützte Energiewirtschaft dar.

In Österreich hat der Staat in der Energiewirtschaft traditionell eine sehr starke Position inne. Per Verfassungsgesetz abgesichert, hat die Mehrheit (min. 51 %) des Aktienkapitals der Verbundgesellschaft und der neun Landesenergieversorger im Eigentum der öffentlichen Hand zu stehen. Die Aktionärsstruktur der österreichischen Energieversorgungsunternehmen (EVU) ist nicht homogen.[2] Allen Spielarten ist aber gemeinsam, dass die öffentliche Hand der bestimmende Mehrheitsaktionär ist. Aus der Mehrfachrolle der öffentlichen Hand als Eigentümer der EVUs und als für die regulatorischen Rahmenbedingungen verantwortlicher Gesetzgeber resultiert ein wettbewerbsbeschränkender Interessenkonflikt. Einerseits wäre die öffentliche Hand zur Etablierung von funktionsfähigem Wettbewerb, der die Margen der Versorgungsunternehmen verringert, verpflichtet, während andererseits als Eigentümer das Interesse besteht, die Renten aus den (früheren) regionalen Monopolen hochzuhalten, d. h. sie möglichst gegenüber dem freien Wettbewerb abzuschirmen. Deshalb konkurrenzieren sich die einzelnen Landesenergieversorger auch nicht gegenseitig. Wien, Niederösterreich und das Burgenland bilden sogar ein (genehmigtes) Vertriebskartell für die Ostregion. Darüber hinaus sind nirgendwo die Energieversorger über Kreuzbeteiligungen so intensiv miteinander verflochten wie in Österreich.[3]

„In dubio contra competitione” ist kein ökonomisches Naturgesetz

Unter diesen Rahmenbedingungen kann Wettbewerb nicht richtig gedeihen. Hohe Dividenden bei gleichzeitig niedrigen Strompreisen und hohen Gehältern in der Energiewirtschaft – das geht sich nicht aus. Im Zweifelsfall blieb bisher in Österreich der Wettbewerb auf der Strecke, und die Konsumenten zahlten die Zeche über (zu) hohe Energiepreise. Diese Art der Preistreiberei seitens der öffentlichen Hand muss nicht sein.

Obgleich der Vorstand einer Aktiengesellschaft (AG) vorrangig dem Unternehmenswohl verpflichtet ist, lässt sich daraus nicht die Verpflichtung zu kurzfristiger Gewinnmaximierung ableiten. Die Berücksichtigung öffentlicher Interessen liegt im Gutdünken des weisungsfreien Vorstands. Insofern kann auch die öffentliche Hand als Eigentümer die Unternehmensleitung nicht direkt zu günstigen Energieangeboten zwingen.[4] Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, ob die herkömmliche AG überhaupt die „richtige Gesellschaftsform“ für Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge ist, wenn öffentliches Eigentum keinen Unterschied macht.

Zumindest eine stärkere Bindung des Vorstands an die öffentlichen Interessen im Bereich der Daseinsvorsorge scheint geboten. Wenn öffentliches Eigentum nicht jederzeit möglichst niedrige Energiepreise gewährleisten kann und sich Vorstände hinter (selbst formulierten) Vertragsklauseln, die eine einfache, schnelle und unbürokratische Preissenkung verhindern, verstecken, muss die Frage erlaubt sein, warum es dann überhaupt staatliche Energiekonzerne (abseits der Netze als natürliche Monopole) braucht. Hohe Preise kann man auch privaten Energiekonzernen bezahlen. Da tut sich die Politik dann auch leichter, diese zu kritisieren. Also ist Privatisierung eine echte Option, oder? Keine Angst, war nur ein Scherz!

Der Autor

Michael Böheim forscht am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) in den Bereichen Wettbewerb, Regulierung, Energie, Telekommunikation und Versorgungsicherheit.

Referenzen

[1] Selten, R., A simple model of imperfect competition where four are few and six are many, International Journal of Game Theory 1973 (2), 141-201.

[2] Im Wesentlichen lassen sich bei der Aktionärsstruktur drei Varianten unterscheiden, einerseits börsenotierte EVU mit privatem Streubesitz (Verbund, EVN), zweitens EVU in öffentlich-privatem Mischeigentum ohne Börsenotierung (Energie AG OÖ, Energie Steiermark, KELAG, Salzburg AG) sowie schließlich drittens EVU, die ausschließlich im Eigentum von Bundesländern (Burgenland Energie, Illwerke VKW, Tiwag, Wien Energie) oder anderen Gebietskörperschaften („Stadtwerke“) sind.

[3] https://www.e-control.at/marktteilnehmer/gas/eigentumsverhaltnisse

[4] Durch eine entsprechende Personalpolitik könnte aber zumindest indirekt darauf Einfluss genommen werden und die Verträge „zuwiderhandelnder Vorstände“ nicht verlängert werden.

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