Impulstanz

Tanz auf den Trümmern unserer Illusionen

Ein Solo im Dauerregen: Francisco Camacho in „Blessed“.
Ein Solo im Dauerregen: Francisco Camacho in „Blessed“.Impulstanz / Chris Vander Burght
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„Blessed“ von Meg Stuart hat auch nach 16 Jahren nichts an Aktualität eingebüßt.

Die Stadt Wien hat Karl Regensburger mit einem Rathausmann ausgezeichnet. Den hat sich der Impulstanz-Impresario mehr als verdient. Er stemmt seit 40 Jahren ein Festival, das die Stadt jeden Sommer mit einer diversen, aufgeschlossenen Klientel flutet. Der als Kunstform noch immer unterschätzte zeitgenössische Tanz bringt immer wieder Visionäres hervor und schafft es, Diskurse ohne Wadelbeißereien anzuregen. Dafür umso eindringlicher.

Am Samstag war es an Meg Stuart, mit „Blessed“ (24. 7., Halle G) aus dem Jahr 2007 dem Publikum die Leviten zu lesen. „Du bist ein Raubtier“, sprüht Francisco Camacho in seiner grandiosen, schonungslosen Darstellung an die Wand seines Papphauses. Da ist es bereits kurz vor dem Einsturz. Der Dauerregen zerstört alles: Seine Papppalme, den Pappschwan, alle Illusionen, sein ganzes Pseudo-Paradies, das keinen Schutz bietet gegen die aus den Fugen geratene Natur.

Inspiriert von Hurricane Katrina

Die Idee für ein Bühnenbild aus Pappe, die durch die Sprinkleranlage unaufhörlich beregnet wird, bis sie sich fast auflöst, kam Doris Dziersk nach einem Aufenthalt in Lateinamerika, wo Menschen oft in prekären, provisorischen Behausungen leben. Dann kam 2006 Hurricane Katrina.

Der Sturm zerstörte New Orleans und den Glauben von Meg Stuart an zivilisatorische Strukturen. Denn die konnten die Natur nicht daran hindern, alles zu zerstören. Und auch die erwartete Hilfe scheiterte. Viele verloren alles. Stuart hat das in „Blessed“ in eine auf Francisco Camacho maßgeschneiderte Choreografie gegossen. Auch 16 Jahre nach der Uraufführung ist dieses Stück noch immer sehr zeitgemäß.

Stuart lässt das Publikum nicht davon kommen

Man kennt die Bilder auch aus den aktuellen Nachrichten: vom Sturm zerstörte Häuser, geknickte Palmen, Menschen, die durch die Fluten waten. Stuart lässt das Publikum nicht davon kommen, sondern fordert es auf, Verantwortung zu übernehmen. Denn wer heute noch gemütlich in seinem Häuschen sitzt, kann morgen schon wie Camacho auf allen Vieren über die Müllhalde seiner Habseligkeiten krabbeln.

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