Impulstanz

„Ballett war für mich geradezu futuristisch“

„Da waren Lieder und Poesie um mich, als ich ein Kind war“, sagt Choreograf und Tänzer Trajal Harrell.
„Da waren Lieder und Poesie um mich, als ich ein Kind war“, sagt Choreograf und Tänzer Trajal Harrell.Jana Madzigon
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Der aus den Südstaaten stammende Trajal Harrell gießt Lebenserfahrung in Choreografien. Drei seiner Stücke sind jetzt in Wien.

So gut wie jedes Jahr kommt Trajal Harrell nach Wien zu Impulstanz. „Es ist, als würde ich heim kommen“, sagt er. Die Energie des Festivals sei international einzigartig, weil man es schaffe, die Wiener, das internationale Tanzpublikum und die Künstler zusammenzubringen. „Man sieht diese pinken Impulstanz-Fahrräder in der ganzen Stadt. Man trifft Tänzer und Choreografen im Zuschauerraum. Und dann gibt es diese einmaligen Partys – da entsteht eine temporäre Gemeinschaft, die es sonst nirgends gibt.“

Harrell muss es wissen. Er hat es aus einer US-Kleinstadt in die internationale Tanzwelt geschafft. In seiner Heimatstadt Douglas gebe es „einen anderen Lebensrhythmus, eine andere Poesie der Sprache, eine lange Geschichte der Sklaverei“, erzählt er der „Presse“. Aber auch den schönsten Himmel, der „bis auf die Straße reicht“. Seine Wurzeln in den US-Südstaaten sind es, die ihn dorthin gebracht haben, wo er heute steht.

Sein Opa sang den Blues

„Wenn ich von der Schule kam, stand mein Großvater in der Tür und hat einen Blues gesummt. Er hat immer gesungen. Ich bin erst später drauf gekommen, dass das nicht alle Großväter tun.“ Später habe er „Blues People“ von Leroi Jones gelesen, ein Buch über die Geschichte des Blues und der Jazzmusik, deren Schöpfer und ihre Unterdrückung im „weißen Amerika“. Das hat seinen Sinn fürs Tragische geschärft.

In der Volksschulzeit ging Harrell in einen Gymnastik-Kurs. „Ich hatte ein intensives körperliches Training, konnte Saltos schlagen. Danach bin ich aber immer noch eine Stunde lang sitzen geblieben und habe den Mädchen beim Ballett zugesehen.“ Niemand fragte, was er da tut. „Es war eine faszinierende Welt – diese Armbewegungen, die Sprünge. Ich verstand nichts. Da standen die Mädchen in ihren Trikots, Strumpfhosen und Ballettschuhen. Ich weiß, es klingt verrückt, aber für mich, den Jungen aus der Kleinstadt, war dieser klassische Tanz, diese bis zur Perfektion verfeinerte Bewegung die moderne Welt. Es wirkte auf mich geradezu futuristisch.“

Modebewusst wie seine Mutter

Mit der Mutter musste er als Kind oft shoppen gehen. Das sei „unendlich fad“ gewesen, weckte aber seinen Sinn für Stil und die Bedeutung von Kleidung. „Am College habe ich Kurse über Feminismus und Postkolonialismus belegt. Ich habe mir gedacht, dass man sich auch mit Kleidung beschäftigen sollte. Sie sagt viel über Leute, über soziale Strukturen, über die Politik aus.“ Als er begann, sich mit Voguing auseinanderzusetzen (einem queeren Tanzstil, der in der Subkultur des New Yorker Stadtteils Harlem entstand), bekam er von der Mutter Stoffe und Kleider, um damit zu arbeiten. Der Catwalk gehört bei Harrell zum fixen Repertoire.

Während des Studiums in Yale reifte er zum Künstler. „Die anderen Studenten wollten Rechtsanwalt werden. Ärztin. Oder Präsident. Ich und meine Freunde aber wollten als Künstler berühmt werden.“ Erst dachte er an Schauspielerei. Aber ihm gefielen die Tanzstunden am besten. Harrel besuchte das Centre National de la Danse nahe Paris und die Martha Graham School of Contemporary Dance New York und erfüllte sich den Traum.

Voguing und Einflüsse aus Japan

Heute zeigt Harrell seine Arbeiten in Paris, Amsterdam oder im New Yorker Museum of Modern Art. Als Choreograf vereint er postmodernen Tanz mit Voguing und dem japanischen Butoh. Dafür war er zehn Jahre lang immer wieder in Asien auf Recherche. Sein Vertrag als Hausregisseur am Schauspielhaus Zürich läuft 2024 aus. Danach will er mehr Zeit mit der Familie in den USA verbringen.

Bei Impulstanz zeigt Harrell in den kommenden Tagen drei seiner Stücke: „Monkey off My Back or the Cat’s Meow“, „The Köln Concert“ und „Maggie The Cat“ sind inspiriert von Harrells Mutter (die seine Philosophie der Mode beeinflusste), von seinem Großvater (und der Musik von Keith Jarrett), von seiner Südstaatenherkunft (und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung) sowie von starken Frauen (wie Maggie aus Tennessee Williams‘ „Katze auf dem heißen Blechdach“). Es sind Harrells gesamte Lebenserfahrungen – in Tanz gegossen.

„Monkey off My Back or the Cat‘s Meow“: 27.+29.7, Museumsquartier, Halle E
„The Köln Concert“: 31.7.+2.8., Volkstheater
„Maggie the Cat“: 4.+8.8., Volkstheater

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