Literatur

Kathrin Rögglas „Laufendes Verfahren“: Im Labyrinth der Neonazis

Kathrin Röggla, geboren in Salzburg, lebt in Köln und Berlin.
Kathrin Röggla, geboren in Salzburg, lebt in Köln und Berlin.Foto: Jessica Schäfer
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Der Prozess gegen die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund, kurz NSU, war der längste und meistbeachtete in der deutschen Nachwendegeschichte. Kathrin Röggla hat das Geschehen im Gerichtssaal mitverfolgt und zu einer gigantischen Suada verarbeitet.

Oben wissen alle Bescheid. Typen wie der Gerichtsopa, die Frau von der türkischen Botschaft, die Omagegenrechts oder der Bloggerklaus kennen das Urteil schon, bevor es die Richter überhaupt gesprochen haben wollen. Oder doch nicht? Wie viele Zeugen sollten angeblich etwas gesehen haben? 129, 600 oder sogar 815? Und über welche Informationen verfügte letztlich der Verfassungsschutz mit seinen nebulösen Szeneermittlern? Klar scheint für jene Zuschauer auf der Empore nur: „Die fehlende Erinnerung wird eine Hauptrolle spielen“ – im meistbeachteten Strafprozess der bundesrepublikanischen Nachwendegeschichte: dem gegen die NSU-Terroristin Beate Zschäpe. „Das Dummgestellte wird neben dem scharf konturierten Unwissen auftauchen“, Verschwörungstheorien machen die Runde, Boulevardstorys über das Zerwürfnis zwischen der Angeklagten und ihren Verteidigern geistern genauso durch den Raum wie Stammtischphrasen über die fünfzehn Prozent Nazis, die es eben in jeder Gesellschaft gäbe. Worauf der Akzent in Kathrin Rögglas Prosawerk „Laufendes Verfahren“ liegt, ist also weniger auf der Faktenlage oder dem Geschehen hinter den Kulissen des Tribunals. Vielmehr gilt ihre Aufmerksamkeit den Beobachtern der juristischen Aufarbeitung. Das Gericht als Ort erweist sich dabei als Abbild einer pluralen, mithin vielstimmigen Gemeinschaft.

Gebirge aus Akten

In deren „Parallelverfahren“, befeuert von Schlagzeilen, Weltanschauungen und Spekulationen, ringen wild die Positionen miteinander „Wir befinden uns dabei in einer ständigen Erwartung von unserem Land, nur dreizehn Jahre, in denen man unerkannt umherziehen und morden wird können, gehören schon nicht mehr dazu“, sagen die einen. Die anderen, die sich der allgemeinen Tendenz zur Verdrängung der rassistisch motivierten Verbrechen entgegenstellen, sehen hingegen in der reinen Aufklärung der Taten noch längst nicht das Ende einer notwendigen gesamtgesellschaftlichen Reflexion.

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