Graz: Dankbares Gelächter für Bernhards Kunstkerker

(c) Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz
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Christiane Pohle inszeniert im Grazer Schauspielhaus Thomas Bernhards Roman „Der Untergeher“: ein Gagfeuerwerk, dennoch unbefriedigend. Die Schauspieler überzeugen nur bedingt.

Das Ringen mit dem Tod – und das Ringen um die Kunst waren Thomas Bernhards Lebensthemen. Dies gilt auch für seinen 1983 erschienenen Roman „Der Untergeher“, auf den ersten Blick eine leicht anödende Lebensekel-Orgie, bei näherer Betrachtung ein feines Netzwerk von Anspielungen und Bezügen. Der Icherzähler berichtet von seinen beiden Freunden, Wertheimer, dem Untergeher, und Glenn Gould, dem Jahrhundert-Pianisten. Alle drei studierten einst gemeinsam Musik, doch Gould überholte seine beiden Freunde souverän – und sie gaben das Klavierspielen auf.

Die zerfallene Gesellschaft der Nachkriegszeit wird einmal mehr detailreich geschildert, die Polarisierung zwischen Nazi-Mitläufern und zurückgekehrten Emigranten. Die lauernde Bestialität, die alle Lebensbereiche durchdringt, wird genüsslich zelebriert, ein Quäntchen „Faust“ (Habe nun ach . . . alles studiert, wozu?) ist dareingemischt und eine kräftige Prise Dostojewski.

Christiane Pohle inszenierte im Grazer Schauspielhaus. Sie sorgt für Abwechslung. Dieses Kunstvehikel macht jede Menge Geräusche, aber es kommt nicht richtig in Fahrt bis zum Schluss: Da taucht Gerhard Balluch als Wertheimers Haus-Faktotum Franz auf und sorgt mit allen anderen für eine grandiose chorische Schluss-Apotheose, die manche Länge zuvor, unterbrochen von dankbarem Gelächter, vergessen lässt.

Die Schauspieler stemmen in den 2.15 Stunden ohne Pause Bernhards gewaltige Suada, überzeugen aber nur bedingt. Christoph Luser als Hauptfigur kann in Sachen Ausstrahlung nicht mithalten mit der Aura der Alten, die Bernhard-Figuren prägten, wie Gert Voss, Traugott Buhre oder Wolfgang Gasser. Luser imitiert gekonnt den schmalen, markanten Bernhard mit seinem mokanten Sprechstil. Er wirkt aber im Vergleich zum Original, das seinerzeit öffentlich nicht gerade sparsam präsent wurde, bloß wie eine Parodie. Sebastian Reiß als Wertheimer serviert zwar eine hinreißende akrobatische Nummer mit Notenpulten, bleibt aber in der Gestaltung der tief tragischen Figur des Wertheimer zu sehr an der Oberfläche.

Der koboldhafte Claudius Körber ist zu weit vom echten Gould entfernt, was nicht schlimm wäre, würde er eine dem Original ebenbürtige Figur entwickeln. Birgit Stöger immerhin hat starke Momente als geknechtete Wertheimer-Schwester und als kokette Wirtin, die in einem ganz kurzen Flash die verquere Sexualität des Icherzählers hervor lockt. Eine Tirade folgt der anderen, es fliegen die Sessel, ein Saurierskelett schwebt symbolträchtig herab – merke Kunstsaurier verhandeln hier Grundsätzliches – und zwei Pianisten (Bence Földi, Simon Schuller) liefern sich einen Wettkampf am Flügel mit Bizet. Goulds Spezialität war Bach.

Viel Action, zu wenig Tiefe

Die Eigenheiten des Ausnahmemusikers Gould werden abgehandelt, seine Vorliebe für niedrige Klavierstühle, fürs Mitsingen, seine kuriosen, aber auch bedenkenswerten Vorschläge zur Abschaffung des Applauses, sein Rückzug ins Studio. Doch letztlich wirkt die Aufführung im Vergleich zur Kompaktheit des Buches fragmentarisch. Ein interessanter Versuch, der nicht wirklich glückt.

Am Ende tauchen Goulds Hände vervielfältigt auf Bildschirmen auf, die aus dem Bühnenboden heraufschweben und es kehrt Ruhe ein, von der eine kräftige Portion mehr vielleicht auch für diese Aufführung vorteilhaft gewesen wäre. Bernhard muss man nach den die Rezeption dominierenden Alten Peymann, Dorn, Minetti und Co. auffrischen, um ihn zu erhalten, keine Frage. Hier hat das noch nicht geklappt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2013)

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