Mario Stecher: "Ich quäle mich eben gern"

quaele mich eben gern
quaele mich eben gern(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Philipp Brem)
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Angst vorm Älterwerden kennt Mario Stecher nicht. Rückschläge dienen dem 35-Jährigen als Inspiration.

Warum wird man eigentlich Kombinierer?

Mario Stecher: Ich bin es geworden, weil ich so sein wollte wie der Klaus Sulzenbacher, er war mein Idol. Ich wollte auch um Medaillen fighten. Ich war auch nicht zu schwach für eine der jeweiligen Disziplinen, und man daher davon ausgeht, dass die Kombination die einzige Chance wäre. Ich war 1993 neben Andreas Goldberger einer der besten Springer des Landes. Aber das Kombi-Training hat mir getaugt: Radeln, Skirollern, Berggehen, in der Natur sein. Ich wollte schon immer gesund leben und da damals das Hungern großer Bestandteil im Skispringen war, fiel die Entscheidung leicht.

Haben Sie selbst je gehungert?

Nein, nie. Wirklich nicht.

Haben Sie Verständnis dafür? Wer nicht blind durchs Leben lief, konnte es bei einigen Skispringern doch nicht übersehen...

Das ist für mich definitiv nachvollziehbar, weil man damit ja Geld verdient. Und wenn Geld für jemanden eine große Rolle spielt, ist die Gratwanderung schnell entschieden. Aber die Gefahr der Magersucht ist enorm. Ich konnte das nie – deshalb bin ich auch Kombinierer worden.

Es ging Ihnen auch nie ums Geld?

Nein, noch einmal: Wenn es mir nur um Geld gegangen wäre, hätte ich Fußballer oder Skispringer werden müssen, aber sicher nicht Kombinierer. Ich will Erfolg haben und dem ordne ich alles unter.

Sie sind der dienstälteste nordische Sportler, es ist Ihre 21. Weltcupsaison. Wird die Aufgabe nicht irgendwann eintönig, dazu die vielen Verletzungen?

Ich sehe den Sport nicht nur als simple Aufgabe, das ist ganz einfach mein Leben. Ich will nur in der freien Natur draußen sein. Ich quäle, schinde mich gern, mache oft schnelle, harte Einheiten, mein Körper und ich brauchen das offenbar. Von Jahr zu Jahr kann ich mich noch immer steigern, mich mit jüngeren messen.

„Opa, mach Platz“, hat Ihnen also noch keiner in der Loipe zugerufen...

Nein. Aber: Wie alt man im Weltcup auch ist, ob 16 oder eben 36, im Endeffekt zählt nur, wer der Bessere ist. Das steht auf keiner Liste.

Wenn Sie zurückblicken: Was war Ihr größter emotionalster Erfolg in den vergangenen zwanzig Jahren?

Auf dem Holmenkollen in Oslo zu gewinnen ist einzigartig. Dieser Berg ist einfach sagenhaft. Vor allem bin ich weiterhin der jüngste Sieger, ich war damals erst sechzehn. Ich war in der Loge, König Carl Gustav hat mich empfangen und mir die Hand geschüttelt (lacht). Mir hat es Berge gegeben. Aber Sport ist kurzlebig, es gibt Weltcup, WM-Siege und Olympia-Gold – das weckt eigene Empfindungen. Der eigentliche Moment puren Glücks und der Befreiung war 1999 in der Ramsau, die Silbermedaille war der Hammer. Verrückt! Da hatten mich alle abgeschrieben und ich habe es meinen Kritikern dann so richtig gezeigt.

Sie wurden aber nicht nur gefeiert, sondern mussten auch sehr viel einstecken. Selbst Cheftrainer Günther Chromecek ging mit Ihnen oft hart ins Gericht.

Stimmt. Die Weltmeisterschaft 2003 hier im Val di Fiemme war sicher einer der dunkelsten Momente in der Karriere. Ich war nicht gut genug, und diese Einsicht war brutal. Natürlich wollte ich das damals nicht wahrhaben und es gab zahlreiche Diskussionen. Aber auch die Winterspiele 2006 waren sehr hart für mich, wenn auch aus ganz anderer Sicht. Da bin ich als einer der großen Favoriten hingefahren, ich hatte eine tolle Saison – und dann gewinnt ein anderer. Du bist nur noch der geschlagene Hund. In der Mannschaft habe ich zu Gold meinen Teil beigetragen, das war super, keine Frage. Aber die Niederlage im Einzel war hart. Da kam einer aus der eigenen Mannschaft, der viel kürzer g'hupft ist und in der Loipe Olympiasieger wird...

Sie spielen auf Felix Gottwald an. Verspürten Sie da auf einmal Neid?

Neid ist das falsche Wort. Aber natürlich habe ich mir damals gedacht: wieso und warum? Es gehört auch so viel Glück dazu, das nicht erklärbar ist. Ich musste es abhaken und weitermachen, so wie immer seit nunmehr zwanzig Jahren. Immer wieder diese Wenn-und-Aber-Situationen, daran kannst du zerbrechen. Dir bleibt letztlich nur ein einziger Ausweg: Du musst dich bei aller Qual nur auf den Spaß besinnen. Das klingt jetzt furchtbar pathetisch, aber ich will wirklich keine einzige Sekunde missen.

Um mit (Negativ-)Erlebnissen so umgehen zu können, bedarf es großer Erfahrung. Ist das nicht der größte Sieg eines Sportlers?

Natürlich. Das Leben besteht aus Höhen und Tiefen und echte Größen zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus dem tiefsten Loch wieder herauskommen. Das ist im Sport das vielleicht wichtigste Gut. Aber wenn du einmal eine Familie hast, merkst du sehr schnell, was wirklich wichtig ist. Alles andere ist Nebensache. Wenn mein Sohn lacht, hat nur er Vorrang. Er holt mich immer auf den Teppich zurück, daran wirst du nicht gemessen.

Sie mussten lange um diese WM-Teilnahme bangen nach einer Knorpelverletzung im rechten Knie. Welchen Stellenwert hat der Begriff Schmerz für Sie?

In meiner Karriere hat der Begriff Schmerz – leider – einen sehr großen Stellenwert. Wer will denn schon im Krankenhaus liegen, operiert werden, Rennen verpassen. Aber diese Situation hat auch einen Umkehrschluss. Das Schöne am Schmerz ist die Rückkehr in die Mannschaft, den Weltcup. Das Herantasten, Durchbeißen, das eiserne Training oder das Gefühl, wieder Skispringen zu können, das gehört für mich dazu. Aber, jetzt kann ich es ja sagen: Ich war mir lange nicht sicher, ob ich es überhaupt zur WM schaffe. Am vergangenen Dienstag ist mir schwindlig geworden und ich wusste nicht warum. Ich erholte mich zwar schnell, aber in diesem Augenblick wollte ich endgültig alles hinschmeißen.

Hatten Sie Angst?

Natürlich, ich bin Familienvater und muss auf meinen Körper hören. Beim Skispringen hast du bei jedem Sprung, vor allem bei der Landung, Angst. Hält das Knie oder nicht? Es ist eine Fifty-fifty-Chance und für diesen Moment brauchst du eine lange, sehr gute mentale Vorbereitung.

Sie wurden schnell als »Super-Mario« gepriesen, ist so eine Bezeichnung mitunter nicht auch belastend?

Das war für mich nie ein Problem. Am Anfang war ich sogar stolz darauf, dass mich die Hektiker aufs Korn genommen haben. Ich war auch einer der ersten Sportler, die das geschafft haben. Ich bin gern der Super-Mario – aber nur dann, wenn ich wirklich super bin.

Mit WM-Silber haben Sie bewiesen, dass sie „noch immer“ überraschen können...

... aber so richtig daran geglaubt habe ich nicht. Es war ein wunderbares Rennen, einfach unbeschreiblich – eigentlich kitschig. Vielleicht gelingt auch etwas mit dem Team, abwarten!

Sie sagten unlängst, dass Sotschi 2014 ein passender Zeitpunkt wäre, dem Sport Adieu zu sagen. Stimmt das?

Na ja, das war mein Ziel, bis zum 2. Jänner. Dann habe ich mein Knie aber sehr schwer lädiert. Die Spiele sind natürlich das Ziel. Aber wenn noch einmal etwas Gröberes am Knie gemacht werden muss, dann geht es nicht mehr. Diese WM ist für mich ein Geschenk.

Und dann? Zurücklehnen, das Leben genießen, die Pension ausbauen...

Ausgesorgt habe ich nicht, obwohl es meiner Familie und mir sehr gut geht. Ich habe ein Sportmanagementstudium begonnen, in diese Richtung dürfte mein Weg gehen. Auch habe ich überlegt, Trainer zu werden. Doch das ist immer ein Schleudersitz, außerdem müsste es doch immer nach meinen Vorstellung ablaufen. Irgendwann muss auch ich meine Ruhe finden.

Steckbrief

1977
wird Mario Stecher in Eisenerz geboren. Seit 1993 startet er im Kombinierer-Weltcup.

1993
feierte er in seinem erst zweiten Rennen den vielleicht größten Sieg – der 16-Jährige gewinnt auf dem Holmenkollen.

2006 und 2010
gewinnt er Olympia-Gold mit dem Team.

2011
wird er mit dem Team Doppelweltmeister – auf Oslos Zauberberg.

Privat
Er ist mit Carina Raich verheiratet, sie haben einen Sohn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2013)

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