"Barock since 1630": Als Kokoschka in Ohnmacht fiel

Kokoschka Ohnmacht fiel
Kokoschka Ohnmacht fiel(c) Belvedere
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Barock, was ist das eigentlich? Die Ausstellung »Barock since 1630« im Unteren Belvedere untergräbt die Klischees, die wir über diese Epoche haben: von maria-theresianischem Pomp bis zu schlichten Stillleben einer unbekannten Malerin.

Pompös, dekadent, schrill – das ist es, was heute landläufig mit „barock“ assoziiert wird, von den üppigen Kostümbällen Agnes Hussleins im Belvedere bis zum Boutiqueunternehmer und Opernballgast Harald Glööckler, der angeblich einen „barocken Lebensstil“ pflegt. Daran, dass auch reiche Russen durchaus einen „barocken“ Stil goutieren, erinnert nicht nur die Ausstattung kostspieliger Kindermodegeschäfte, sondern etwa auch ein aktuelles Swarovsky-Schaufenster, in dem das „Prinzip der barocken Wunderkammer“ glitzernd nachgestellt wird. Aus Bergkristall ist hier allerdings nichts.

Marie-Antoinette, Versailles, Kleider wie Paläste und Wasserspiele wie aus Hollywood. Das ist die in den vergangenen Jahren zu Pop stilisierte Seite des „Barock“. In Österreich haben wir dafür die matronenhafte Maria Theresia und das biedere Schönbrunn, das jetzt nicht unbedingt den großen Glamour-Faktor bereithielt. Mit dem (wahrscheinlich den Männern zugeneigten) Prinz Eugen ist zwar zuletzt noch eine andere Identifikationsfigur gefunden – in diesem Jahr vor allem, in dem sein 350. Geburtstag mit der Verwandlung seines Winterpalais in ein Museum begangen wird.

Barock als Staatskunst. Doch „Barock“ ist hierzulande immer noch ein recht träger Begriff. Was auch damit zusammenhängt, dass „barock“ in Österreich gleichgesetzt wird mit „staatstragend“. Den maria-theresianischen Dreiklang nennt Georg Lechner etwa das Cremeweiß der Holzvertäfelung, das Gold der Verzierungen und das Dunkelrot der Wandbespannungen – also die Farben, die den Hintergrund aller Regierungsangelobungen bilden, daheim beim Herrn Bundespräsidenten sozusagen.

Georg Lechner ist der junge, relativ neue Leiter der Barock-Sammlung des Belvedere, Wissenschaftler durch und durch, aber anscheinend dennoch bereit, Ausstellungen fern von Kremser-Schmidt-Reminiszenzen zu gestalten. Seine Berufung ist vielleicht ein Beginn, die Schwere, die auf dieser von Gegenreformation und Absolutismus, also vom Kampf-Katholizismus und Alleinherrscher-Syndrom geprägten Ära lastet, einmal abzustreifen.

Aktuell tut Lechner das gemeinsam mit seinem Kollegen aus dem 20.Jahrhundert, Alexander Klee, im Unteren Belvedere. Schon der Katalog greift sich mit seiner samtigen hellrosa Außenhaut anders an als sonst. Der Titel klingt wie ein Modelabel – „Barock since 1630“, womit man wohl versucht, an die Leichtigkeit anzuknüpfen, die international, vor allem aber in Frankreich, mit dem Thema verbunden wird. „Um 1627“, das Datum, das das älteste Stück der Ausstellung – eine Madonnen-Statue Hans Spindlers – trägt, wäre tatsächlich nicht so knallig gewesen, dieser kleine Trick sei verziehen. Dass der Beginn der Epoche kunsthistorisch um 1580, und zwar in Italien, angesetzt wird, ebenfalls – schließlich soll es hier ausschließlich um den österreichischen Barock gehen; „und Österreich war eben wie oft 30 Jahre hinterher“, so Lechner.

Neubarock prägte Österreich. Dafür waren wir unglaublich gut, die alle Künste umfassende Inszenierung ist uns sichtlich gelegen. Seit Ende des 19.Jahrhunderts, mit dem Kunsthistoriker Albert Ilg, wurde der Barock als eine Art Staatskunst propagiert, der „neubarocke“ Stil prägte die öffentliche Repräsentation im Historismus. Wie stark diese Faszination war, zeigen zwei österreichische Malerfürsten – Hans Canon, der sich als ein neuer Rubens stilisierte und sein Konkurrent Hans Makart, der für das Kaiserhaus „barocke“ Festzüge und Tableaus gestaltete.

Beide wurden für ihre „barocke“ Ader damals stark kritisiert, vor allem in Deutschland, wo man sich mehr an der Gotik und der Renaissance orientierte. „Zu wienerisch“ hieß es bis in die Zwischenkriegszeit etwas abfällig über Maler wie Anton Faistauer. Der österreichische Expressionismus hatte im Vergleich zum deutschen immer etwas Weiches, Gefälliges, Heiteres, auch in der gebrochenen Farbigkeit. Es wird wohl kein Schalk sein, wer hier vom Einfluss barocker Malerei, vor allem Deckenmalerei, spricht. So erinnerte sich etwa Oskar Kokoschka (spät) an sein künstlerisches Paulus-Erlebnis: Er sei als Kind angeblich in Ohnmacht gefallen, als sein Blick die Maulbertsch-Fresken der Piaristenkirche entdeckte.

Vom hl. Sebastian zu Maria Lassnig. Es ist ein großes Verdienst dieser Ausstellung, dass sie versucht, unseren Blick auf den Barock zu irritieren. Erstens ist nicht alles, was man hier gleich als barock einordnet, wirklich barock. Gerade im Historismus wurden verdächtig starke Anleihen genommen. Weiter wird der barocke Strang zum Nötscher-Kreis geführt. Der Körper, vor allem auch der nackte Körper als Ausdrucksträger, das beginnt im Barock mit den verschiedenen Märtyrern, allen voran dem heiligen Sebastian, und endet bei Anton Koligs Männerakten und Maria Lassnigs Körpergefühlsbildern. Aktionsfotos von Nackten am Kreuz von Hermann Nitsch hätten hier auch gepasst, man hat sich allerdings auf zwei altarartige Tragen Nitschs mit (neobarocken) Messgewändern beschränkt. Überhaupt ist man mit den Verweisen auf „barocke“ Elemente in der zeitgenössischen österreichischen Kunst recht sparsam umgegangen, etwa mit zarten Lichtstrahlen von Caroline Heider in schwarz-weißen Drucken („Oh, ein Phänomen!“) und einem dafür recht pompösen Pixel-Deckengemälde von Peter Baldinger im Eingangsbereich. Beim Stillleben, das im Barock ein eigenes Genre wurde, geht man ebenso ins Zeitgenössische wie bei den Schlachthausbildern.

Die unbekannte Anna Maria Punz. Der zweite Punkt der Ausstellung ist aber fast spannender als diese Verweise, nämlich die Betonung der realistischen Seite des Barock. Das hat nichts mehr mit nackten, üppigen Frauen oder großer Repräsentation zu tun. Da ist man dann plötzlich bei den „Studienköpfen“ von Franz Xaver Messerschmidt. Oder der „Spitzenklöpplerin“ vom Maler E. K. Lautter aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Mädchen könnte fast der Neuen Sachlichkeit etwa 200 Jahre später entsprungen sein. Genau wie die superschlichten Stillleben der einzigen (un-)bekannten barocken Malerin Österreichs, der geheimnisvollen Anna Maria Punz (Persenbeug 1721–1794), über die man äußerst wenig weiß. Ihr wurde ein Stillleben Rudolf Wackers von 1933 zur Seite gehängt – was einen fantastischen Dialog ergibt.

Auch das kann also Barock sein – Schlichtheit und Realismus. Da soll sich noch jemand auskennen. Und genau das ist das Schöne daran.

Dauer. 1575–1770. Das Barock ist eine wichtige Epoche der europäischen Geistesgeschichte.

Entwicklung. Von Italien ausgehend breitete sich die Bewegung nach Norden aus, in die katholischen, aber auch in die protestantischen Länder.

Bauten/Kunst.Barockschloss Belvedere, Rubens, Stift Melk, Versailles.

Begriff. Im Portugiesischen werden unregelmäßig geformte Perlen als „Barrocco“ (schief, merkwürdig) bezeichnet.

Typisch ist z.B. die Aufhebung der Grenzen zwischen den Künsten. Formelemente wurden übersteigert. Die strenge Ordnung der Renaissance wurde aufgelöst. Reichtum und Bewegtheit waren wichtig.

Österreich. Hier ist das Barock eine zentrale Epoche der Geschichte. Ausstellung „Barock seit 1630“ im Unteren Belvedere bis 9. Juni 2013.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2013)

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