Neben Juden und Oppositionellen verfolgten die neuen Machthaber gleich zu Beginn die Intellektuellen.
Wien. Praktisch gleichzeitig mit den ersten Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung und der Verhaftung von Oppositionellen wurde auch die Intelligenz Österreichs „gleichgeschaltet“. Zu den frühesten Opfern zählten – noch am 12. März 1938 – altgediente Redakteure der „Neuen Freien Presse“ und anderer Medien. Auch an den Universitäten verloren die neuen Machthaber keine Zeit: Schon am 16. März wurde Fritz Knoll, ein illegaler Nationalsozialist, als Rektor der Uni Wien installiert. Binnen weniger Wochen „säuberte“ er sein Haus von rund 2700 Personen, darunter 350 Lehrenden (mehr als 200 aus „rassischen“, 130 aus „politischen“ Gründen). Gut 230 Personen wurden ihre akademischen Grade aberkannt, 1800 Studierende wurden exmatrikuliert.
Die Liste der Vertriebenen ist ein Who's who der damaligen Wissenschaft – etwa Kurt Gödel, Heinrich Gomperz, Egon Wellesz, Oskar Morgenstern oder Karl Menger. Ein „Gedenkbuch“, an dem seit einigen Jahren gearbeitet wird, umfasst aktuell Daten von 2235 Betroffenen. Dieses spielt auch eine wichtige Rolle beim Symposium „Exilforschung zu Österreich“ der Uni Wien zum Jahrestag von 12. bis 14.März. Einen Aderlass erlitten auch andere Unis: An der Technischen Hochschule z.B. wurden gleich nach dem Anschluss zwölf von 58 Professoren entlassen, an der Uni für Bodenkultur verlor ein Drittel der Habilitierten den Job.
Auch an der „Akademie der Wissenschaften in Wien“ – heute Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) – ging es sehr rasch: Heinrich Ritter von Srbik, ein renommierter Historiker und Vertreter einer „gesamtdeutschen Geschichtsauffassung“, wurde zum Präsidenten gekürt. Schon am 18. März 1938 gelobte die Akademie dem „Führer“ per Telegramm „unverbrüchliche Treue und unbedingten Gehorsam“.
21 Mitglieder wurden zum Austritt aus der Gelehrtengesellschaft gedrängt – unter ihnen so große Namen wie Stefan Meyer, Franz Eduard Suess oder die Nobelpreisträger Victor Franz Hess und Erwin Schrödinger. Umgehend – noch im April – wurden alle jüdischen oder politisch „unzuverlässigen“ Mitarbeiter der Akademie-Institute fristlos entlassen: Im Radiuminstitut z.B. traf es ein Viertel der Belegschaft, in der Biologischen Versuchsanstalt sogar zwei Drittel. Die Forschung der Akademie wurde auf „politisch beglaubigte“ Themen wie Rassenkunde, Volkstumsforschung oder Kernphysik ausgerichtet.
Zum Jahrestag des Anschlusses werden am 11. und 12. März die Ergebnisse des Forschungsprojektes „Die ÖAW 1938 bis 1945“ präsentiert – mit einer Gedenktafel, einer Ausstellung samt Katalog, einer Podiumsdiskussion und einem Symposium. In Folgeprojekten sollen die Schicksale aller Betroffenen aufgearbeitet und in einem virtuellen Gedenkbuch festgehalten werden, langfristig auch auf einer Steingedenktafel.
Von diesem erzwungenen Massenexodus – nur ein Bruchteil kehrte zurück – erholte sich Österreichs Wissenschaft in manchen Fächern bis heute nicht.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2013)