Barbara Frey: "Liliom ist sanft und kindlich!"

Barbara Frey Liliom sanft
Barbara Frey Liliom sanft(c) EPA (Steffen Schmidt)
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Die Schweizerin Barbara Frey will im Burgtheater ganz unbekannte Seiten von Franz Molnárs berühmtem Hutschenschleuderer enthüllen – den Nicholas Ofczarek spielen wird.

Sie inszenieren „Liliom“ im Burgtheater. Was ist für Sie wichtig an dem Stück?

Barbara Frey: Als die Ringelspielbesitzerin, Frau Muskat, Liliom hinausschmeißt, sagt er: Ich bin ein Niemand. Er wird immer nur von anderen betitelt: als Nichtsnutz, Tunichtgut. Er hat keine Erkenntnis über sich selbst, ahnt aber sehr viel. Darum kommt er auch mit dieser Julie zusammen, da gibt es eine Wesensverwandtschaft.

Beide sind sehr unbewusste Menschen, getrieben von einer brutalen Gesellschaft.

Liliom und Julie empfinden sehr viel unter der Sprache. Die Sprache in diesem Stück ist extrem gewalttätig. Schon in der ersten Szene gehen die Leute aufeinander los. Es gibt keine Entspannung, dass jemand einmal freundlich „Guten Tag“ sagen würde. Diese Menschen sind wie räudige Hunde. Und alle haben Angst. Keiner stellt sich selbstbewusst hin und sagt: „So bin ich.“ Die Leute dreschen verbal aufeinander ein, schweigen oder schämen sich.

Liegt das an der Wirtschaftskrise oder am Wesen des Menschen?

Es liegt an einer prekären wirtschaftlichen Situation. Die Uraufführung fand einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg statt. Molnár hat das Flirren in der Luft eingefangen, diesen Überlebenskampf. Das Stück kann man aber auch heute erzählen. Man kennt die sozialen Härten und die Brutalisierung der Sprache.

Ein Mensch, der keine Arbeit hat, ist nutzlos. Auch davon handelt „Liliom“.

Ja. Man kann nicht sicher sein, ob die Arbeit genügend identitätsstiftend ist und das Geld reicht. Aber Liliom ist nicht irgendeine Sozialstudie über Leute, die kein Geld haben und am Rand der Gesellschaft leben. Das Stück geht viel tiefer. Es werden auch religiöse Fragen gestellt: Was und wo ist der Himmel? Was ist dort oben? Was ist hinter den Selbstverständlichkeiten?

Molnárs Himmel ist voller Bürokraten, Polizisten und der gleichen Grausamkeit wie im Leben: Das ist eine furchtbare Vorstellung.

Das ist aber auch das Geniale an dem Stück. Es hat keine Schlusspointe, es gibt keine Erlösung. Wir werden entlassen und wissen nicht, durch welche Tür geht Liliom jetzt.

Was kommt nach dem Tod?

Es gibt in mir bestimmte spirituelle Dinge. Ich bin christlich geprägt, aber aus der Kirche ausgetreten. Trotzdem sind die letzten Dinge für mich ein großes Thema. Das ist aber etwas, worüber man nicht sprechen kann.

Worin manifestiert sich die Spiritualität für Sie? In der Kunst? In Yoga oder Meditation?

Nein. Mich interessiert die Vorstellung, dass es jenseits der materiellen Welt etwas gibt, z. B. bestimmte Energien und Konzentrationen, die von einer Gruppe von Menschen gebildet werden und enorme Kräfte freisetzen. Ich bin ja auch Musikerin, und da habe ich das oft erlebt, dass die Summe dann mehr ist als die Einzelteile.

Sie spielen Schlagzeug, das ist eher etwas Aggressives, oder?

Auch das Triangel ist ein Schlagzeug und das Feinste überhaupt. Wollen Sie mir da jetzt ein Klischee überbraten? Ich denke, Aggressivität hat auch etwas Gutes und ist eine Art Selbstschutz. Die Musik für alle meine Stücke suche ich übrigens selbst aus. Der Liliom, finde ich, endet mit einer Blue Note. Das ist ein Ausdruck aus der Jazzmusik für einen ausklingenden Akkord, der schwer zu beschreiben ist. Er hat etwas Melancholisches, aber auch etwas Helles. Mit der Kunst verhält es sich wie mit der Religion: Die wesentlichen Dinge entziehen sich der Erklärung.

Sie haben mit Nicholas Ofczarek als Liliom eine Idealbesetzung.

Ich habe Liliom nie gesehen, daher bin ich glücklicherweise „unbelastet“. Ich habe in Filme und die ein oder andere Aufführung hineingeschaut, aber nicht zu viel, weil ich mich nicht ablenken lassen will. Nicholas Ofczarek ist ein extrem inspirierender, intelligenter und anspruchsvoller Schauspieler, der absolut Lust hat, auf eine Reise zu gehen. Im Stück gibt es ganz eigenartige schwebende Zustände, die geister- und märchenhaft wirken wie diese Szene am Bahndamm. Es wird immer gesagt, der Liliom ist so ein Frauenliebhaber, er kann jede haben. Das tritt bisweilen komplett in den Hintergrund. Liliom hat eine eigene Welt in sich, eine Sanftmut und Kindlichkeit, jenseits seiner Brutalität. Und er hat ein überaus gutes Gehör: Er merkt sich alles.

Diese somnambule Szene am Bahndamm, dachte ich, hat etwas damit zu tun, dass er spürt, dass das Ende nahe ist.

Ja, auch. Ich musste an Caliban aus Shakespeares „Sturm“ denken. Er ist einerseits ein Naturmonster, das Prosperos Tochter vergewaltigen will. Andererseits gibt es da so eine Stelle, an der er erzählt, wie er Beeren pflückt und dem Vogelgezwitscher oder den Fröschen lauscht. Da wird aus Caliban plötzlich ein ganz feines, durchlässiges Wesen. Etwas davon ist auch im Liliom, wenn er sich in Julie verliebt, aber das Zarte kann er nicht gut zeigen.

Sie sind Intendantin am Zürcher Schauspielhaus, haben sehr viele Inszenierungen gemacht. Gibt es eigentlich bei Künstlern auch so etwas wie ein Burn-out?

Wir alle heute arbeiten an einer Art Gesamterschöpfung. Das hat damit zu tun, dass wir Teil der Natur sind. Leider machen wir Menschen alles kaputt, was wir in die Finger kriegen. Wir zerstören, verwüsten alles. Mit Effizienz allein kann man nicht überleben. Die Häufung von Erschöpfungszuständen hat damit zu tun, dass wir vergessen, dass man innehalten muss, Luft braucht, Pausen, Müßiggang.

Matthias Hartmann hatte am Zürcher Schauspielhaus Kämpfe mit der Gewerkschaft. Seit er weg ist, scheint es dort ruhig geworden zu sein. Wie kommt das?

Ich werde immer wieder auf meine beiden Vorgänger, Christoph Marthaler und Matthias Hartmann, und die Turbulenzen, die es gab, angesprochen. Ich kann dazu nichts sagen. Was sich positiv verändert hat seither, ist der Dialog mit dem Verwaltungsrat.

Wird das Theater überleben?

Ich glaube schon. Wie das Buch wird man auch das Theater letztlich immer brauchen. Das Theater ist eine der wichtigsten Erzählformen heute. Der allgegenwärtige Journalismus in seiner Fixierung auf Aktualität ist kein Ersatz für „Geschichten“. Wenn wir nur noch haben, was von Tag zu Tag produziert wird, werden wir irgendwann nicht mehr erzählen können. Und das kann eben das Theater.

Wird je eine Frau Burgtheaterdirektorin?

Na hoffentlich!

Steckbrief

Barbara Frey
1963 Geburt in Basel.

1988
Nach dem Studium kommt sie ans Basler Schauspielhaus, das Frank Baumbauer leitet - als Musikerin, Schauspielerin, Regisseurin.

1995
Frey inszeniert am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. 1999 wird sie Hausregisseurin an der Berliner Schaubühne .

2002
Durchbruch mit Becketts „Endspiel“ am Bayerischen Staatsschauspiel. Freys „Wanja“-Inszenierung wird zum Theatertreffen in Berlin eingeladen.

2009/10
Frey übernimmt von Matthias Hartmann, der ans Burgtheater wechselt, die Leitung des Zürcher Schauspielhauses.

Burgtheater
Hier hat Frey „Arsen und Spitzenhäubchen“, „Sturm“, Jelineks Wilde-Bearbeitung „Der ideale Mann“ inszeniert. „Liliom“ ist ab 6. April 2013 im Haupthaus zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2013)

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