Amsterdam: Die "Nachtwache" in der Kunstkammer

Amsterdam Nachtwache Kunstkammer
Amsterdam Nachtwache Kunstkammer(c) REUTERS (MICHAEL KOOREN)
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Nach zehn Jahren radikaler Umbauten wird das Nationalmuseum der Niederlande, das Rijksmuseum, am 13. April wiedereröffnet. Eine erste Besichtigung beeindruckt stark - und lässt überraschend oft an Wien denken.

Neun „Nachtenwachten“ noch, zeigte das Display über dem Haupteingang des Rijksmuseums Amsterdam gestern, Donnerstag. Ein digitaler Countdown zählt die auf den berühmtesten Rembrandt des Museums anspielenden „Nachtwachen“, die Stunden und die Minuten herunter. Dann wird das niederländische Nationalmuseum nach unglaublichen zehn Schließjahren wiedereröffnet. Am 13., in einer der letzten Amtshandlungen von Königin Beatrix.

Die Medien hatten Vortritt, sie durften schon gestern das rundum erneuerte Innenleben des mächtigen historistischen Backsteinbaus durchforsten, was sie in beachtlicher Masse auch taten. Einen solchen internationalen Auflauf kennt man sonst nur von Großereignissen wie der Documenta. Schließlich wird hier ein fast eine ganze Generation lang nur imaginiertes Museum, das touristenfreundlich auf eine Sonderpräsentation von 400 Hauptwerken in einem Sonderausstellungsflügel heruntergebrochen war, wieder real. Wozu das Pathos? Umgelegt auf Österreich wäre es mit dem Eröffnungstrubel vergleichbar, hätten Kunsthistorisches Museum, Museum für angewandte Kunst und Belvedere gleichzeitig ein Jahrzehnt lang geschlossen gehabt. Denn das Rijksmuseum vereint alle diese Gebiete – bildende, nationale und angewandte Kunst – zu einer riesigen kulturhistorischen Sammlung.

Ein einziger chronologischer Durchlauf

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Amsterdam Nachtwache Kunstkammer(c) REUTERS (MICHAEL KOOREN)

Um diesen Aspekt hervorzuheben, entschloss man sich, die Gattungen zu mischen und einen einzigen chronologischen Durchlauf, vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, zu ermöglichen. Eine Idee, die man auch von der Neuaufstellung der Wiener Kunstkammer kennt (wie auch die Idee der weiterführenden iPad-Stationen, die in Amsterdam vorerst nur in holländischen Versionen verfügbar sind). Doch an Beschriftung mangelt es den 8000 Objekten nur in Ausnahmefällen, sie führen narrativ auf vier Stockwerken durch die Jahrhunderte, ein bunter Mix aus Gemälden, Skulpturen, Porzellan, Möbeln etc. Inszenatorisch besonders dicht gelingt die Epochenerzählung im 17. und 18. Jahrhundert, wo manche Galerien auch dank der glitzernden Vitrinenwälder den Charakter von, ja, zeitgenössischen Kunstkammer-Präsentationen bekommen. Im Raum der Zeit König Williams III. etwa, wo man direkt in den Lauf einer schweren Schiffskanone hineinläuft, um gleich daneben feinstes Porzellan bewundern zu können. In den Räumen voller Puppenhäuser, Meissen-Vögel oder Keramikfliesen.

Eigentlich blieb hier nichts beim Alten. Ein 375 Millionen teurer Wille, der durch die neue Eingangssituation symbolisiert wird, Herzstück des vom spanischen Architekturbüro Cruz y Ortiz ausgeheckten Erneuerungsplans: Die einst mit kleinen Galerien verbauten Innenhöfe wurden freigeräumt zu einem lichtdurchfluteten, weiten Patio. Hier unten sammelt sich alles, hier befinden sich Kassen, Garderoben, Café etc. Um die darob verlorene Hängefläche wieder zu gewinnen, wurde auch das Untergeschoß zur Galerie ausgebaut – das Mittelalter, natürlich, zog das finstere Los, betont noch durch die dunkelste der Grauschattierungen, die durchgehend für die Wände gewählt wurden.

So prangt auch das Prunkstück des Hauses, Rembrandts Bürgerwehr-Porträt „Nachtwache“, auf mittelgrauem Grund, ideal beleuchtet von dem LED-Lichtsystem, das Philips extra mit dem Rijksmuseum entwickelte – das warme Licht schafft es, die Bilder wie frisch restauriert wirken zu lassen. Sonst wurde die „Nachtwache“ als einziges Werk traditionell bedacht, es durfte an seinen alten Ort zurückkehren, an die Stirnseite der „Ehrengalerie“, in der man auch drei Vermeers des Museums findet, „Der Liebesbrief“, „Das Milchmädchen“ und „Frau, einen Brief lesend“. Hier werden sich die Massen – fast eine Million Besucher jährlich waren es vor zehn Jahren – ballen.

Eine der überzeugendsten Neuerungen allerdings liegt im Abseits, erreichbar nur über einen Verbindungsgang: Die asiatische Sammlung bekam einen Neubau, einen kleinen Pavillon im Vorgarten sozusagen. Die reduzierte, meditative Präsentation ist schlicht grandios. Schwerer tut sich da die erstmals ausgestellte Sammlung des 20.Jahrhunderts, die zwei nicht zusammenhängende Fluchten im Dachgeschoß bekam, wo früher Restaurierung und Depots untergebracht waren. Hier wird es sehr bruchstückhaft, die Entwicklungen von Art déco bis Zero nur zitierend, mit einem leichten Überhang an Rietveld-Sesseln.

Fragwürdig: Ein Raum zur NS-Zeit

Besonders fragwürdig ist ein der NS-Zeit gewidmeter Raum, der nur zwei Objekte enthält – ein scheußliches, der NS-Propaganda geschuldetes Keramik-Schachset und die gestreifte KZ-Jacke einer Holocaust-Überlebenden. Darf das sein? Ja. Es ist hart, aber in der Breite der Sammlung vertretbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.04.2013)

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