Fahrlässig passiv in Syrien

Der Westen sieht tatenlos zu, wie in Syrien ein zweites Afghanistan entsteht. Besonders unschlüssig und widersprüchlich zeigt sich dabei Österreichs Außenpolitik.

Die Toten des syrischen Bürgerkriegs, mindestens 70.000, würden mittlerweile die Ränge des Wiener Ernst-Happel-Stadions füllen. Doch kaum jemand redet mehr darüber. Um ausreichend Platz für die Flüchtlinge, mehr als eine Million, zu schaffen, müssten vier Städte der Größe von Graz gebaut werden. Doch die meisten zucken die Achseln. Dreieinhalb Flugstunden von Österreich entfernt ist ein Aufmarschgebiet für militante Islamisten aus allen möglichen Ländern entstanden. Egal, wir sehen weg.

Ignoranz und Passivität haben allerdings ihren Preis. Probleme werden nicht kleiner, indem man hofft, dass sie sich von selbst lösen. Doch in dieser Form des magischen Wunschdenkens erschöpft sich seit zwei Jahren die Syrien-Politik des Westens. Sie ist gescheitert. Syriens Diktator Bashar al-Assad kann immer noch Flugzeuge aufsteigen und Wohnviertel bombardieren lassen. Keiner hindert ihn daran. Bis heute gibt es keine Flugverbotszone für Syrien, und das liegt nicht nur an der Blockadehaltung Russlands und Chinas im UN-Sicherheitsrat. Es fehlt der Druck aus den USA und Europa. Die Zauderer führten viele kluge Gründe an, warum eine Intervention in Syrien keine gute Idee wäre. Doch es war eine noch schlechtere Idee, untätig zu bleiben.

Syrien droht nun ein ähnliches Schicksal wie Afghanistan oder Somalia: Es steht vor dem Zerfall, vor Jahrzehnten des blutigen Chaos. Der Westen hat die Initiative anderen überlassen. Katar und Saudiarabien schütten ihr Füllhorn über salafistischen Rebellenmilizen in Syrien aus, während der Iran weiter das alawitische Assad-Regime mit Geld, Waffen und Kämpfern versorgt. Auch Amerikaner, Briten und Franzosen mischen unentschlossen unter der Hand mit, schleusen Rebellen durch ihre Trainingscamps. Doch die politischen Gestaltungsmöglichkeiten, die daraus erwachsen, sind eingeschränkt bis inexistent. Der Westen ist so jedenfalls nicht in der Lage, die Entwicklungen in Syrien entscheidend zu beeinflussen.

Widersprüchlich und unausgegoren, wenngleich nur im Puppenhausmaßstab, präsentiert sich auch Österreichs Syrien-Politik. Vizekanzler Michael Spindelegger war unter den Ersten, die vor offenen Mikrofonen das Ende des Assad-Regimes herbeisehnten. Inzwischen ist er Assads bester Mann in der EU. Mit Verve kämpft der Außenminister im Kreis seiner Kollegen gegen die Aufhebung des Syrien-Waffenembargos und gegen die Aufrüstung der Rebellen.

Er hat Argumente auf seiner Seite, er wiederholte sie vergangene Woche beim Besuch der Blauhelmtruppe auf den Golanhöhen: Niemand könne wissen, in wessen Händen die Kriegsgüter letztlich landen. Und: Assads Armee nähme die österreichischen UN-Soldaten womöglich als Feinde wahr, wenn die Bundesregierung grünes Licht für Waffenlieferungen gäbe. Diese Zurückhaltung erlegte sich Spindelegger freilich nicht auf, als er sich den Sturz Assads wünschte. Jetzt wiederum sträubt er sich dagegen, das militärische Kräftegleichgewicht zugunsten der syrischen Opposition zu verändern und so den Niedergang des Diktators zu beschleunigen. Es ist nicht schlüssig und trägt dazu bei, das blutige Patt in Syrien zu verlängern.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2013)

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