"Die Welt hat uns Syrer einfach im Stich gelassen"

Die Schriftstellerin Samar Yazbek ist zwar gegen eine Militärintervention, fordert aber ein stärkeres Engagement des Westens: Luftabwehrwaffen und eine Flugverbotszone würden schon sehr helfen, meint sie.

Die Presse: Sie sind schon einige Zeit im Exil. Wie beurteilen Sie die Syrien-Berichterstattung? Versteht Europa denn ganz, was dort vor sich geht?

Samar Yazbek: Ich haben den Eindruck, dass die Nachrichten über Syrien nicht wirklich die Realität abbilden. Es gibt in diesen Berichten orientalistische Vorurteile und eine Angst vor dem Islamismus. Die andere Seite der Wahrheit wird oft nicht gesehen.

Und was ist diese andere Seite?

Der Widerstand in Syrien ist sehr vielfältig, aber in den westlichen Medien geht es vor allem um die Islamisten, was dann wiederum als Begründung genommen wird, sich nicht einzumischen. Die Ziele der syrischen Revolution waren am Anfang die Ziele der Französischen Revolution: Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit. Es hat friedlich begonnen, aber durch die Brutalität des Regimes hat sich der Aufstand radikalisiert. Islamistisch sieht er aus, weil der Islam das Einzige ist, was den Menschen noch hilft. Es ist ihre Identität, sie haben darin Zuflucht gefunden. In Syrien gibt es derzeit keine Angst vor den Islamisten, sondern davor, dass Bashar al-Assad an der Macht bleiben könnte. Dann würde sich der Aufstand weiter radikalisieren und die Jihadisten könnten doch die Oberhand gewinnen.

Als der Aufstand 2011 begann, haben Sie da geglaubt, dass Assad zwei Jahre später noch immer im Amt ist?

Es war mir klar, dass dieses Regime brutal ist, aber mit einer solchen Brutalität habe ich doch nicht gerechnet. Ich dachte mir damals, es wird vielleicht ein Jahr dauern, darauf haben wir uns eingestellt. Weil sich das alles so hinzieht, fängt die Gesellschaft langsam an zu zerfallen. Wir haben gedacht, dass uns die Staatengemeinschaft unterstützt, aber die Welt hat uns Syrer einfach im Stich gelassen. Sie steht abseits und sieht zu, wie Bashar al-Assad seine Verbrechen begeht.

Sind Sie also für eine militärische Intervention? Und von wem?

Am Boden kommen die Rebellen militärisch gut voran. Das Problem ist die Luftwaffe, mit der das Regime einen großen Teil seiner Kämpfe führt, weshalb die Siege der Opposition oft nicht dauerhaft sind. Deshalb brauchen wir dringend Luftabwehrraketen. Wichtig wären auch eine Flugverbotszone und ein sicherer Korridor, über den man Hilfsgüter nach Syrien bringen kann. Der Internationale Strafgerichtshof sollte gegen Assad vorgehen und ihn zum Kriegsverbrecher erklären. Wir verlangen also nicht viel, und das alles würde die Welt auch kaum etwas kosten.

Luftangriffe wie die der Nato in Libyen sind Ihrer Ansicht nach nicht nötig?

Nein, da bin ich dagegen. Es sind schon genug Leute gestorben, wir brauchen keine Bombardements wie in Libyen, egal, ob durch die Nato oder durch sonst jemanden.

Sie haben vor Ihrem Gang ins Exil die Gräuel des Regimes dokumentiert. Was gab Ihnen Kraft und Mut für diese lebensgefährliche Mission?

Ich bin ja immer noch gelegentlich in Syrien. Die Kraft gibt mir mein Glaube an die Gerechtigkeit. Wenn ich die Menschen und ihr Leid sehe, muss ich weitermachen. Ich könnte nicht weiterleben, wenn ich damit aufhören würde. Auch wenn ich mich außerhalb Syriens aufhalte, bin ich im Geiste immer bei den Menschen daheim.

Zur Person

Samar Yazbek (*1970) ist eine syrische Schriftstellerin. Sie dokumentierte die Gräueltaten des syrischen Regimes (zuletzt erschienen: „Schrei nach Freiheit“), sah sich jedoch nach mehreren Festnahmen und Drohungen gegen ihre Familie zur Flucht ins französische Exil genötigt. Sie war auf Einladung des österreichisch-arabischen Kulturzentrums in Wien. [Dumbs]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2013)

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