NSU-Prozess: Der braune Terror, den niemand sehen wollte

Die einzige Überlebende der Zwickauer Zelle: Beate Zschäpe, ab Montag vor Gericht.
Die einzige Überlebende der Zwickauer Zelle: Beate Zschäpe, ab Montag vor Gericht.(c) REUTERS (HANDOUT)
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Ab Montag steht in München Beate Zschäpe vor Gericht. Ihr wird Mittäterschaft bei zehn Morden vorgeworfen. Fast alle Opfer waren aus Einwandererfamilien, doch die Polizei übersah den rechten Hintergrund.

Wien/München. Enver Simsek stand an jenem Samstag im September 2000 nur ausnahmsweise hinter seinem mobilen Blumenstand an der Liegnitzer Straße in Nürnberg. Normalerweise arbeitete ein Verkäufer für ihn, doch der hatte frei. Am frühen Nachmittag feuerten zwei Männer acht Schüsse auf den 38-jährigen Simsek ab, er starb zwei Tage später an seinen Verletzungen.

Das Motiv der Täter blieb unklar – bis zum November 2011, als bekannt wurde, dass Enver Simsek nur das erste von mindestens zehn Opfern einer Mordserie mit rechtsextremem Hintergrund war. Begangen von einer Zelle, die sich NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) nannte; begangen an acht türkischstämmigen und einem griechischstämmigen Einwanderer sowie an einer deutschen Polizistin.

Die Todesschützen sind tot. Als die Polizei ihnen nach einem Banküberfall in Eisenach auf den Fersen war, erschoss Uwe Mundlos (38) seinen Komplizen Uwe Böhnhardt (34) und sich selbst. Aber Beate Zschäpe (38) lebt. Sie muss sich ab Montag vor dem Oberlandesgericht München wegen der NSU-Morde verantworten, falls es nicht zu einer weiteren Verschiebung kommt.

Posse um Vergabe der Journalistenplätze

In den vergangenen Wochen hat eine Posse um die Vergabe der Journalistenplätze im Gerichtssaal den Beginn des Prozesses hinausgezögert: Die Plätze sind erst nach dem „Windhundprinzip“ vergeben worden (wer zuerst kommt, mahlt zuerst), türkische Medien sind leer ausgegangen. Dies führte zu einem Aufschrei in der türkischen Politik und zu Unverständnis in der deutschen Öffentlichkeit, weshalb die Vergabe neu aufgerollt wurde, diesmal durch Auslosung in drei Kategorien. Dies führte dazu, dass Lokalmedien wie „Radio Lotte Weimar“ oder „Das Zentralorgan Berlin“ fixe Plätze bekamen, nicht aber einige der wichtigsten überregionalen Zeitungen wie „Frankfurter Allgemeine“ oder „TAZ“. Die „Welt“ muss hoffen, dass die ebenfalls zum Springer-Konzern gehörende „Bild“ gelegentlich Platz macht.

Beate Zschäpe, die sich am 8. November 2011 der Polizei gestellt hat, ist allerdings nicht die einzige Angeklagte: Zwei Männer, darunter Ralf Wohlleben, ein ehemaliger Funktionär der rechtsextremen NPD, müssen sich wegen Beihilfe zum Mord verantworten, sie sollen der Zelle die Waffen besorgt haben. Zwei weitere Personen sind als Unterstützer der Gruppe angeklagt.

Aber vor allem geht es um Beate Zschäpe. Jene Frau, deren Vater vermutlich Rumäne ist, auch wenn er die Vaterschaft nie anerkannt hat, und die mit ihren zwei Komplizen Jagd auf Menschen mit ausländischem Hintergrund gemacht hat. Jene Frau, die in ihrer Jugend bei einer linken Gruppe andockte, dann aber die Seite wechselte und mit ihrem Freund Uwe Böhnhardt und ihrem Ex Uwe Mundlos ein verschworenes Trio bildete. Die Anklage wirft Zschäpe vor, als gleichberechtigtes Mitglied der Zelle an den Morden beteiligt gewesen zu sein, auch wenn sie selbst wohl nicht geschossen habe.

Was wusste der Verfassungsschutz?

Zschäpe kümmerte sich um die Finanzen der Gruppe, die in 15 Banküberfällen aufgefüllt wurden, um die Logistik und um die harmlose Fassade – die Katzen Heidi und Lilly inbegriffen – den jeweiligen Nachbarn gegenüber, zuletzt im sächsischen Zwickau. Man lebte unter wechselnden Pseudonymen, denn die Behörden suchten seit 1998 nach dem Trio, seit die Werkstatt in Jena entdeckt worden war, in der sie Bombenattrappen gebastelt hatten. Bei den Attrappen blieb es nicht. Zusätzlich zu den mindestens zehn Morden – es wird nicht ganz ausgeschlossen, dass es weitere Fälle gab – verübten sie zwei Anschläge mit Nagelbomben. 2007, nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter endete die Serie offenbar.

Eine Serie, die von den Ermittlern zwar erkannt wurde und als „Döner-Morde“ firmierte, die aber nicht in den richtigen rechten Kontext gestellt wurde. Warum das so war, auch darum wird es in dem Münchner Prozess gehen, dieser Umstand wirft ein äußerst negatives Licht auf die Behörden. Bei einem der Morde war sogar ein Beamter des Verfassungsschutzes am Tatort. Nicht zuletzt die Hinterbliebenen der Opfer wollen nun endlich wissen, wie viel der Verfassungsschutz tatsächlich über die Zwickauer Zelle und ihr mörderisches Treiben gewusst hat.

Auf einen Blick

In München beginnt am Montag der NSU-Prozess. Hauptangeklagte ist Beate Zschäpe (38), ihr wird Mittäterschaft an zehn Morden und zwei Bombenanschlägen vorgeworfen. Wegen Beihilfe zum Mord stehen der ehemalige NPD-Funktionär Ralf Wohlleben (38) und Carsten S. (33) vor Gericht, André E. (33) und Holger G. (38) wegen Unterstützung der Gruppe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2013)

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