"Gebietstausch wäre beste Lösung für Kosovo-Problem"

SERBIA EU
SERBIA EUEPA
  • Drucken

Interview. Serbiens Premier Ivica Dačić sieht das jüngste Abkommen mit Prishtina als bestmögliches Ergebnis. Eine Anerkennung des Kosovo sei es aber keinesfalls.

Die Presse: Serbien hat im April ein Abkommen mit Prishtina geschlossen. Hat Serbien damit seinen Frieden mit der Abspaltung des Kosovo gemacht?

Ivica Dačić: Serbien hat die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkannt. In dem Abkommen geht es ja auch nicht um die Status-Frage, das war nicht das Thema des Dialogs. Wir sind aber nach wie vor daran interessiert, eine dauerhafte Lösung dafür zu finden, im Gegensatz zu Prishtina. Dort sieht man das als abgeschlossene Sache, weil der Kosovo von einigen westlichen Ländern anerkannt wurde. Aber eines Tages wird das wieder zum Thema werden, denn die Unabhängigkeit ist ja nicht losgelöst von Dingen wie der Mitgliedschaft in internationalen Organisationen wie der UNO. Da werden sie also wieder mit uns reden müssen.
Der eigentliche Wert dieses Abkommens liegt aber woanders: Wir haben gezeigt, dass Dialog zum Erfolg führen kann; dass es möglich ist, neue Beziehungen aufzubauen; dass diese beiden Völkern miteinander reden können. Und wir haben festgestellt, dass wir viele gemeinsame Interessen haben. Serbien hat damit zum ersten Mal demonstriert, dass es auch etwas anderes kann als eine Politik der permanenten Verweigerung.

Es wird künftig aber eine einheitliche Polizei für ganz Kosovo geben, ein rechtliches System, das das ganze Gebiet umfasst. Das ist nur einen kleinen Schritt von der formalen Anerkennung der Unabhängigkeit entfernt.

Das Abkommen ist ein Schritt zur Normalisierung des täglichen Lebens. Kosovo bleibt ein Teil des verfassungsmäßigen und rechtlichen Systems Serbiens. Verfassung und Parlament werden aber all ihre Vollmachten an das Kosovo übertragen, damit das innerhalb des konstitutionellen Rahmens bleibt, bis wir eine endgültige Lösung finden. Solange haben wir vereinbart, dass die Serben ihre eigenen Gemeinden haben, inklusive Polizeikräfte und Justiz auf dem von ihnen bewohnten Territorium. Der Kosovo-Armee wird es nicht erlaubt sein, die von Serben bewohnten Gebiete zu betreten, außer im Fall von Naturkatastrophen, und auch da nur mit Erlaubnis der Kfor und der lokalen serbischen Gemeindevorsteher. Ich denke also, dass dieses Abkommen fair ist.

De facto hat Serbien im Kosovo keine Autorität mehr. Ist das einer der Mythen, die sie zurechtrücken wollen?

Im Kosovo gibt es zwei Realitäten: Die eine ist, dass Serbien über einen großen Teil des Kosovo keine Gewalt ausübt. Die andere Realität ist, dass in dem Teil, wo die Serben leben, Prishtina keine Autorität hat. Sowohl Belgrad als auch Prishtina erzählen darüber Märchen, aber das reale Leben ist eine dritte Geschichte.

Wie geht diese Geschichte?

Letztlich geht es um praktische Themen: Können die Kosovo-Albaner Serbien mit ihren Dokumenten durchqueren, wenn sie nach Westeuropa reisen? Und können die Serben mit ihren Dokumenten nach Pristhina fahren? Niemand hat sich bisher um die Probleme der einfache Leute gekümmert. Dieses Abkommen ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Ich habe Herrn Thaçi (Premier des Kosovo; Anm.) ein Joint Venture vorgeschlagen, eine Autobahn vom südserbischen Niš nach Prishtina. Er fand das recht gut. ich habe auch vorgeschlagen, dass die EU das zahlt, weil sie uns ja zu dem Abkommen gezwungen hat. Aber Catherine Ashton hat abgelehnt. Sie hat gesagt: Ihr könnt alles haben, aber kein Geld.

Die Serben im Nordkosovo sperren sich aber weiter gegen das Abkommen. Wie wollen sie die bei der Umsetzung ins Boot holen?

Vor allem ist es wichtig, Vertrauen aufzubauen zwischen den Serben und den Albanern im Kosovo, aber das wird Zeit brauchen. Die Ängste, die noch bestehen, sind verständlich. Die Serben fürchten, dass sie ihre Identität verlieren, ihre Jobs, und dass sie ihre Heimat verlassen müssen. Deshalb müssen wir sehr vorsichtig sein bei der Umsetzung des Abkommens.
Wir müssen die Menschen überzeugen, dass sich in ihrer Lebenswirklichkeit nichts ändert. Das einzige, was sich ändert, ist, dass die bestehenden Institutionen der Republik Serbien umgewandelt werden in Institutionen der serbischen Gemeinden. Wir müssen uns um die serbische Bevölkerung im Kosovo kümmern, es ist aber auch in unserem Interesse, ein Datum für Beitrittsverhandlungen mit der EU zu bekommen. Das werden wir nicht bekommen, wenn wir nicht mit der Umsetzung der Vereinbarungen beginnen.

Wie könnte eine endgültige Lösung aussehen? Sie haben einmal eine Revision der Grenzen vorgeschlagen. Ist das auch als Premier ihre Meinung?

Welche Grenzen? Es gibt ja nur eine Verwaltungs-Linie aus den Zeiten des alten Jugoslawien.

Ich meine einen Gebietstausch zwischen albanisch dominierten Gebieten in Südserbien und den serbisch dominierten Gebieten im Nordkosovo.

Das offizielle Belgrad hat das nie vorgeschlagen, nur ich persönlich.

Aber Sie sind das offizielle Belgrad!

Ich habe das nicht als Premier gesagt, sondern als Ivica Dačić. Denn ich persönlich glaube, dass die beste, die schnellste, und auch die dauerhafteste Lösung wäre. Ich denke, dass sowohl die Serben als auch die Albaner einer solchen Lösung applaudieren würden. Sie richtet sich auch nicht gegen irgendeine dritte Partei. Trotzdem hat der Westen das immer abgeschlagen. Sie sagen, dass sie keine Änderungen der Grenzen wollen. Dabei waren ja sie es, die mit der Anerkennung des Kosovo Grenzen geändert haben. Sie fürchten, dass dieses Beispiel dann in anderen Ländern Schule macht.

Wenn Ihr Vorschlag nach einem Gebietstausch umgesetzt wird, würde Serbien dann letztlich den Kosovo anerkennen?

So detailliert habe ich das noch nicht ausgefeilt, und ich habe darüber auch noch mit niemandem diskutiert. Ich denke nur, dass der Weg zu einer dauerhaften Lösung sein könnte.

Als Kosovo 2008 die Unabhängigkeit erklärte, gab es massive Demonstrationen. Als im April das Abkommen mit Prishtina im Parlament verabschiedet wurde, gab es kaum Proteste. Interessiert das die Leute nicht mehr?

Wichtig ist, ob Dir die Menschen vertrauen oder nicht. Ich als Verhandlungsführer und mein Vizepremier Alexander Vučić haben die Öffentlichkeit mit der Situation vertraut gemacht. Die Leute sollten wissen, dass das Abkommen das Maximum war, was wir erreichen konnten. Das ist die Realität, ob wir sie nun mögen oder nicht.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Belgrad KosovoSerben naehern Standpunkte
Außenpolitik

Belgrad und Kosovo-Serben "nähern Standpunkte an"

Die Umsetzung der Vereinbarung ist noch nicht gänzlich fixiert. Der Besuch von serbischen Vizepremier Vucic im Nordkosovo soll entscheidend werden.
Kosovo-Serben hintertreiben EU-Annäherung
Außenpolitik

Kosovo-Serben hintertreiben EU-Annäherung

Ein Treffen der Regierungsspitze mit Vertretern der vier serbischen Kommunen im Nordkosovo endete ergebnislos. Belgrad droht, widerborstigen Landsleuten in der Exprovinz den Geldhahn zuzudrehen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.