Schwedenbomben: Ursula Niemetz' teures Hobby

Symbolbild Pferd im Stall
Symbolbild Pferd im StallClemens Fabry
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Die Belegschaft von Niemetz hätte sich gewünscht, dass die Chefin ins Unternehmen ähnlich viel investiert wie in einen Gnadenhof für ausrangierte Pferde.

Wien/Salzburg. Ein Gähnen, ein halb geöffnetes Auge. Zu mehr lässt sich die schwarze Hofkatze auf Happy's Farm nicht herab, um Besuch zu begrüßen. Es scheint, als würde der dichte Schnürlregen die Zeit am Pferdehof in Anif lahmlegen. Hier, wenige Autominuten von Salzburg entfernt, hat sich die Schwedenbomben-Erbin Ursula Niemetz ihren Traum erfüllt. Vor fünf Jahren gründete sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Steve Batchelor einen Gnadenhof für Pferde. Zwei Dutzend Tiere konnten dank ihr seither die Schlachtbank gegen den ruhigen Alterssitz tauschen. Allzu oft lässt sich Ursula Niemetz derzeit aber nicht blicken. An den Turbulenzen rund um den Verkauf des Schokoladenherstellers Niemetz liegt das aber nicht. Der Grund ist viel profaner: Die Pferdenärrin hat Pferdeallergie. Aber Frau Niemetz liebt die Pferde wirklich, sagt Pferdewirtin Bettina. „Wann immer sie kommt, küsst sie alle – obwohl sie danach drei Tage kaum atmen kann.“

Schwedenbomben-Umsatz war im Plus

Kaum atmen konnte zuletzt auch ihre Firma Niemetz. Über die Gründe darüber, warum der Schokoladenhersteller in die Insolvenz gerutscht ist, gibt es viele Spekulationen: Die Produkte, die Schwedenbomben und die Schokoriegel Manja und Swedy, seien in den Sechzigerjahren stehen geblieben, zu süß, zu schwer, nicht mehr zeitgemäß. Deshalb würden sie nicht mehr gekauft. Es sei nicht investiert worden, weder in Marketing noch in die Produktion, die Maschinen seien veraltet und bräuchten eine Generalüberholung. Letzteres entspricht den Tatsachen. Nur: Schwindende Umsätze waren nicht das Problem der Firma. Im Gegenteil: Mitarbeitern zufolge seien diese immer stabil, man habe eigentlich jedes Jahr ein Umsatzplus erzielt. „Im Grunde waren die Schwedenbomben immer eine Geldpresse“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter.

Firmenintern werden die Gründe für die finanzielle Misere anderswo gesucht. Hat etwa doch das kostspielige Steckenpferd der Chefin das Unternehmen in die Ecke gedrängt? Glaubt man Insidern, litt Niemetz offenbar unter einem gelinde gesagt laxen Umgang der Eigentümer mit Firmengeldern. Die Kapitalkonten der beiden Gesellschafter (Ursula Niemetz hielt 80 Prozent der Firmenanteile, ihr Lebenspartner Steve Batchelor 20 Prozent) seien „in beträchtlichem Ausmaß“ im Minus gewesen, bestätigt auch Gläubigerschützer Roman Tahbaz vom KSV 1870. Und das Problem der Geldabflüsse aus der Firma sei bei den Sitzungen mit Masseverwalter Stephan Riel wiederholt zur Sprache gekommen und habe auch die Forderungen der Gläubiger beeinflusst. Die Quote wurde von anfänglich 20 Prozent auf 95 Prozent hochgeschraubt. Riel will sich dazu vorläufig nicht äußern. Ob die Sache ein juristisches Nachspiel hat, hängt davon ab, ob nachgewiesen werden kann, dass die mutmaßlichen Geldentnahmen ursächlich für die Insolvenz gewesen sind.

Bettina, die 26-jährige Pferdewirtin aus Thüringen, hat seit gut einem Jahr auf Happy's Farm allein die Zügel in der Hand. Ein Pfiff von ihr, und alle 27 Pferde folgen ihr aufs Wort. Die meisten von ihnen hat Ursula Niemetz aus einem einzigen Schlachttransporter freigekauft und sie so vor dem sicheren Tod gerettet. Manche hatten Koliken, andere haben Arthrosen. „Aber oft reicht es schon, dass Pferde nicht schön genug laufen, damit sie beim Fleischer landen“, sagt Bettina. Hier in Anif können sie in Würde altern – und sterben. So wie die Haflingerstute Happy. Mit 31 Jahren kam das kranke Tier auf den Hof, vor Kurzem ist die Namenspatronin des Hofs gestorben.

Schirmherrin Brigitte Bardot

Die Zeiten der großen Society-Events auf Happy's Farm sind vorerst vorbei. Vor Jahren noch hat Brigitte Bardot Fondation die Schirmherrschaft für das Gut übernommen. Heute will selbst die Gründerin Ursula Niemetz in der Öffentlichkeit lieber nicht mit dem Gnadenhof in Verbindung gebracht werden. Von den Gerüchten, dass Geld aus den Kassen des maroden Schokoladenherstellers in das private Hilfsprojekt geflossen sein soll, will man auf Happy's Farm nichts wissen. Der Hof sei ein Privatprojekt und gehöre einem Verein, heißt es. Auch Pferdewirtin Bettina ist bei eben jenem Verein angestellt und nicht bei der Firma Niemetz. Diesen Verein gibt es tatsächlich, er ist im Impressum der Homepage von Happy's Farm angeführt, die weit professioneller gestaltet ist als die antiquierte Homepage der Firma Niemetz. Als Präsident des gemeinnützigen Vereins ist Steve Batchelor angeführt. Die Walter Niemetz GmbH scheint lediglich als „großzügiger Sponsor“ der Happy's Farm auf.

Prekär war die Situation der Firma Niemetz schon lange. Auch wenn die lockere Hand der Chefin im Umgang mit dem Firmengeld allgemein bekannt war, hielten die Mitarbeiter zu ihr. „Das ging so weit, dass einer ihr einmal 3000 Euro geborgt hat, damit Zucker gekauft werden konnte und die Produktion nicht zum Stillstand kam“, sagt ein ehemaliger Angestellter. Ein andermal sei man nach Deutschland gefahren, um Folien für die Verpackung zu organisieren, da der Lieferant wegen nicht bezahlter Rechnungen nicht mehr liefern wollte.

So hätte sich das über Jahre hingeschleppt, zermürbend für die Mitarbeiter, von denen viele schon seit Jahrzehnten bei der Firma arbeiten. Die Loyalität gegenüber Niemetz war vor allem die Verpflichtung gegenüber dem Lebenswerk von Walter Niemetz, dem 1992 verstorbenen Konditormeister und Vater von Ursula, der die Firma aufgebaut hatte.

Argusauge über Bonbonniereschachteln

Walter Niemetz sei streng, aber gerecht gewesen, heißt es. Einmal habe der Chef erfahren, dass einer seiner Mitarbeiter einen Kredit aufnehmen wollte. Daraufhin habe er gesagt: „Meine Leute müssen keinen Kredit aufnehmen“ und das Geld vorgeschossen. In der Fabrik habe er über „jede Bonbonniereschachtel“ Bescheid gewusst. Ab und zu habe er etwas aus dem Lager genommen, um die Mitarbeiter zu testen. „Und wehe, wenn das niemand bemerkt hat.“ Von Walter Niemetz' Kindern, seinem Sohn Walter und den Töchtern Isabella und Ursula, musste letztere die Nachfolge antreten, obwohl sie nicht wie ihr Vater eine Konditorenausbildung absolvierte, sondern eine Hotelfachschule besuchte. „Sie wurde da hineingestoßen“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter.

Unbeliebter Amerikaner

Der Unmut der Mitarbeiter konzentrierte sich nicht auf die immer liebenswürdige Tochter vom „Herrn Kommerzialrat“, sondern auf deren Lebenspartner Steve Batchelor, einem Amerikaner, den Ursula Niemetz vor rund 20 Jahren als Sanierer in die Firma geholt hatte. Batchelor, dem Niemetz die Geschäftsführung übertrug und der zuletzt 20 Prozent der Firmenanteile hielt, machte sich bei den Mitarbeitern durch „aggressives Auftreten“ unbeliebt. Bei Betriebsversammlungen soll er den Mitarbeitern etwa gedroht haben, ihnen die Zeit vom Gehalt abzuziehen. Die Happy's Farm soll übrigens nicht die einzige private Aufwendung gewesen sein, die mit Firmengeldern „gesponsert“ wurde. Auch eine Haushälterin, die die Niemetz-Villa in St. Gilgen am Wolfgangsee in Schuss hielt, soll als Arbeiterin in der Firma angestellt gewesen sein. Wiederholt versuchte „Die Presse“ in den vergangenen Tagen Ursula Niemetz und Steve Batchelor zu erreichen. Ohne Erfolg.

Auch Pferdepflegerin Bettina macht sich Sorgen, wie es weitergehen soll. Denn ganz billig ist der Gnadenhof nicht. Gut zehntausend Euro kostet ein Monat. Üblicherweise finanzieren sich Gnadenhöfe über Spenden. Hier hat bisher Ursula Niemetz quasi allein die Kosten gestemmt. Zwar scheinen auf der Homepage noch zwei weitere Sponsoren auf, diese sollen aber nur kleine Beiträge gespendet haben. Bettina hofft, ihre Arbeit auf Happy's Farm weiterführen zu können. „Denn eines muss man wirklich sagen: Frau Niemetz ist eine nette Frau und eine gute Arbeitgeberin.“ Das sei in der Branche keine Selbstverständlichkeit. An ihrem letzten Arbeitsplatz habe sie es nur wegen der Tiere vier Jahre lang ausgehalten. Allerdings gab es dort keine Geldprobleme.

Auf einen Blick

Ursula Niemetz, 63, übernahm die Firma Niemetz von ihrem Vater Walter Niemetz, der in Paris in den 1920er-Jahren die Kunst der Patisserie gelernt und 1930 in Wien jene Süßwarenfabrik gegründet hatte, in der die Schwedenbombe entstand. Nach der gescheiterten Sanierung endete am Dienstag die Ära Niemetz mit dem Verkauf an die Meinl-Tochter Heidi Chocolate. [Lukas/picturedesk.com]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2013)

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