Filmfestival Cannes: Spekulieren mit Spielberg

Filmfestival Cannes Spekulieren Spielberg
Filmfestival Cannes Spekulieren Spielberg(c) Cannes
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Die Konkurrenz in Cannes war stark, aber ohne Favoriten. Daneben gab es einen verdienten Preis für Rithy Panh und ein Comeback für Alejandro Jodorowsky.

Was wird Steven Spielberg tun? Bis zuletzt brannte die Frage den Journalisten unter den Nägeln: Denn das 66. Filmfestival Cannes bot einen guten Jahrgang ohne überragenden Favoriten. Zuletzt erhielten die großen Kritikerlieblinge auch die Goldene Palme: 2010 „Uncle Boonmee“ von Apichatpong Weerasethakul, 2011 „The Tree of Life“ von Terence Malick und im Vorjahr Michael Hanekes „Amour“. Doch heuer gab es zwar viel Applaus für die Konkurrenz, aber kaum „Meisterwerk“-Rufe.

Also richteten sich alle Blicke auf Hollywoods Regiestar Spielberg, der als Jurypräsident heuer das letzte Wort hat – und „die Peitsche schwingt“, wie Jurorin Nicole Kidman freimütig bekannte. So gilt der japanische Beitrag „Like Father, Like Son“ von Hirokazu Koreeda als Mitfavorit: vertauschte Babys? Das sollte den Kinderstoffe liebenden Spielberg ansprechen! Oder goutiert er als Freund klassischen Erzählkinos und großer Gefühle die effektive, doch etwas zu gewollte dramatische Konstruktion des Iraners Asghar Farhadi im Scheidungsdrama „The Past“? Kidman soll bei dem Film geweint haben – und wird, wie der österreichische Schauspieler Christoph Waltz oder der US-taiwanesische Regisseur Ang Lee, sicher ein Wörtchen bei der Jurydebatte mitreden.

Die internationale Filmkritik wählte bereits Samstag die Comic-Adaption „Blue Is the Warmest Color“ („La vie d'Adèle H.“) des Franzosen Abdellatif Kechiche zum besten Wettbewerbsfilm: ein überlanger lesbischer Entwicklungsroman, der wegen der Proteste gegen die Schwulenehe in Frankreich als politischer Kandidat gilt – und seine Darstellerin Adèle Exarchopoulus als Entdeckung des Festivals. Wird sie beste Aktrice, gar mit Léa Seydoux, ihrer Partnerin in freizügigen, unweigerlich „mutig“ genannten Sexszenen? Auch Michael Douglas ist Favorit für die Darstellung der (heimlich) homosexuellen Ikone Liberace. Oder geht dieser Preis an Exsänger Oscar Isaac, der in der Titelrolle des Folkmusikerporträts „Inside Llewyn Davies“ von den Coen-Brüdern überzeugte?

Polanski provozierte mit Pillensager

Bis zuletzt sorgte der Bewerb für Zuspruch, aber nicht Furore: Jim Jarmuschs Vampirfilm „Only Lovers Left Alive“ war als Stilübung elegant schmähstad, aber nicht sehr tiefgründig, der Franzose Arnaud des Pallierès bot einen spröden „Michael Kohlhaas“ nach Kleist und US-Regisseur James Gray in „The Immigrant“ eine stimmungsvolle, düstere Einwandergeschichte aus den 1920ern mit einer starken Marion Cotillard. Zuletzt provozierte Altmeister Roman Polanski weniger mit dem exzentrischen Zweipersonenstück „La Vénus à la fourrure“ („Venus im Pelz“) als mit der Bemerkung, dass er die Gleichstellung von Männern und Frauen für „völlig idiotisch“ halte: „Ich denke, das ist das Ergebnis des medizinischen Fortschritts. Die Pille hat die Frauen unserer Zeit sehr verändert, indem sie sie vermännlicht hat.“

Einer der besten Filme von Cannes 2013 gewann indes den Zweitbewerb „Un certain regard“: In der Dokumentation „The Missing Image“ verarbeitete der Kambodschaner Rithy Panh mit Tonfiguren-Tableaux und „Wochenschau“-Bildern so unkonventionell wie vielschichtig seine Erinnerungen an die Schreckensherrschaft der Roten Khmer. Viele der wahren Höhepunkte dieses Jahrgangs fanden abseits der Konkurrenz statt: So präsentierte der 84-jährige chilenische Kultfilmer Alejandro Jodorowsky sein Comeback nach 23 Jahren nur in einer Nebensektion. Mit „The Dance of Reality“ legte er eine gewohnt barocke und bestechende Fusion von Autobiografie und surrealer Fantasie vor. Eine Zuseherin war so ergriffen, dass sie bat, auf die Bühne kommen zu dürfen, um Jodorowsky aus Dank zu küssen. Was im Festivalpalais unmöglich wäre, aber im Parallelveranstaltungskino mit Freuden gestattet wurde: ein Happy End fernab des Wettbewerbs.

Erste Preisträger in Cannes

Im Zweitbewerb „Un certain regard“ siegte der Kambodschaner Rithy Panh für seine Dokumentation „The Missing Image“ über das Schreckensregime der Roten Khmer. Der Preis der Jury ging an den Palästinenser Hany Abu-Assad für sein Freiheitskämpfer-Drama „Omar“, bester Regisseur wurde der Franzose Alain Guiraudie für seine schwule Träumerei „Stranger by the Lake“. Die internationale Filmkritik wählte indes ihren Favoriten im Wettbewerb: „Blue Is the Warmest Color“ vom Franzosen Abdellatif Kechiche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2013)

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