Obama, Syrien und die flüchtige rote Linie

U.S. President Barack Obama listens at meeting in the White House in Washington
U.S. President Barack Obama listens at meeting in the White House in WashingtonREUTERS
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Dem jungen Team des US-Präsidenten fehlt außenpolitische Erfahrung. Die Konzentration auf Umfragen und die jeweils nächsten Wahlen verhindert eine schlüssige Syrien-Strategie.

Washington. Vom Reformer zum Kriegsverbrecher in nur zwei Jahren: Amerikas Regierung hat ihre Einstellung gegenüber dem syrischen Führer Bashar al-Assad binnen recht kurzer Zeit grundlegend geändert.

Noch im März 2011 meinte die damalige Außenministerin Hillary Clinton in einem Interview mit CBS News, dass viele ihrer Gesprächspartner Assad eigentlich als Reformer sähen. Doch am Donnerstagabend fällte Washington mit der Erklärung, die USA würden Syriens Rebellen fortan militärisch unterstützen, weil Assad Giftwaffen eingesetzt habe, ein klares Urteil über das Regime in Damaskus: Der Einsatz von chemischen Waffen ist ein Kriegsverbrechen. Wer so etwas tut, überschreitet eine rote Linie und zwingt Amerika zum Einschreiten.

USA sagen vorerst Nein zu Flugverbotszone

Doch was Washington nun tatsächlich zu tun gedenkt, ist schleierhaft. Die vage Ankündigung, über den Geheimdienst CIA leichte Waffen und Munition an Assads Feinde zu liefern, wurde gleich am Freitag von zahlreichen Beobachtern mit zwei Argumenten kritisiert. Deren erstes lautet so: Wenn man die rasanten Kampferfolge von Assads Truppen und der islamistischen Schiitenmiliz Hisbollah stoppen will, muss man sofort ihre Versorgung mit Nachschub aus dem Iran unterbinden. Dazu braucht es eine Flugverbotszone, damit kein iranisches Flugzeug mehr Ladungen in Damaskus und an anderen Orten deponieren kann. Eine Flugverbotszone allerdings schloss Ben Rhodes, der in Nahost-Fragen federführende Berater von Präsident Barack Obama, am Donnerstag entschieden aus. Und selbst wenn man sie einrichten wollte, müsste man – so wie 2011 beim Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi – zuerst mit einem massiven Bombardement die syrische Luftabwehr ausschalten und dann mit Abfangjägern im syrischen Luftraum patrouillieren. Ob sich die USA das im Alleingang oder bloß mit den willigen Allierten Frankreich und Britannien antun, ist zweifelhaft. Man sollte nicht vergessen, dass Russland in Syrien einen Marinestützpunkt unterhält und der Regierung in Damaskus neue mobile Flugabwehrsysteme der Type S-300 versprochen hat. Diese Zusage sei vom amerikanischen Giftwaffenvorwurf unberührt, verkündete der Kreml am Freitag.

Wenn man keine Flugverbotszone einrichten, Assads Gegnern aber dennoch militärisch wirklich helfen wollte, müsste man diese zweitens mit tragbaren Luftabwehrwaffen ausstatten, um Hubschrauber und Kampfflugzeuge ausschalten zu können. Doch auch das schließt das Weiße Haus bisher aus. Es gehe nur um leichte Waffen, erklärte Rhodes, ohne ins Detail zu gehen.

Die Irrtümer der „Obamianer“

So stellt sich die Frage: Was will Amerika in Syrien? Innenpolitisch gut ausschauen, lautet die Antwort zahlreicher außenpolitischer Fachleute, auch solcher aus Obamas eigenen Reihen der Demokraten. „Er hat sich aktiv von der moslemischen Welt abgekoppelt. Er ist von den Präsidenten der jüngeren Vergangenheit derjenige, der sich am wenigsten dafür interessiert. Im Gegenteil: Er will so schnell wie möglich weg von dort“, sagte Vali Nasr, Dekan der School of Advanced International Studies an der Johns Hopkins University in Washington, im Gespräch mit der „Presse“. Nasr war ab 2009 zwei Jahre lang Assistent von Richard Holbrooke, dem damaligen Sonderbeauftragten für Afghanistan und Pakistan. Er musste aus nächster Nähe beobachten, wie Obamas junges Beraterteam strategische Fragen der Außenpolitik einzig nach ihren innenpolitischen Folgen bewertete. „Ihr Gesichtspunkt war stets: Wie positionieren wir den Präsidenten mit Blick auf die Zwischenwahlen 2010 und auf die Wiederwahl 2012?“, erinnert sich Nasr. „Sie betrieben Außenpolitik wie einen Wahlkampf: von Schlagzeile zu Schlagzeile. Sie dachten, dass Diplomatie den Präsidenten schwach aussehen lassen würde.“

Das hatte eine paradoxe Folge: Der ehemalige Harvard-Professor, der Präsident mit dem arabischen Namen Hussein, der der moslemischen Welt die Hand zur Versöhnung zu reichen anbot, sah den Nahen Osten von Monat zu Monat mehr durch die Brille der Terrorbekämpfung. Drohnen und Spezialkräfte statt Verhandlungen mit Feinden, um Frieden zu schaffen. Diplomatie, hat Henry Kissinger gesagt, bedeute, mit Leuten zu reden, deren Werte und Ziele man grundsätzlich ablehne. Die „Obamianer“ hatten dafür keine Geduld.

Der Arabische Frühling erwischte sie auf dem falschen Fuß; nämlich in dem Moment, als sie sich aus dem Nahen Osten zurückziehen wollten. „Niemand hat sich auf Syrien konzentriert“, zitiert der Reporter James Mann in „The Obamians“, seiner Charakterstudie des Weißen Hauses, den außenpolitischen Berater James Steinberg. Mehr als 93.000 Tote später holt diese mangelnde Aufmerksamkeit den Friedensnobelpreisträger Obama nun ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2013)

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