Kino

Film „Past Lives“: Die verwandten Seelen aus Seoul

Nach zehn Jahren Trennung zusammen auf Sightseeing-Tour in New York,  für nur zwei Tage: Greta Lee als Nora (vormals Young Na) und Teo Yoo als Hae Sung.
Nach zehn Jahren Trennung zusammen auf Sightseeing-Tour in New York, für nur zwei Tage: Greta Lee als Nora (vormals Young Na) und Teo Yoo als Hae Sung.Imago
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Dem herzzerreißenden Melodram „Past Lives“ der gebürtigen Südkoreanerin Celine Song gelingt es, romantische Gefühle weder aufgebauscht noch banal wirken zu lassen.

Einer dem fernöstlichen Denken entsprungenen Vorstellung zufolge binden sich zwei füreinander bestimmte Seelen im Laufe ihrer Reinkarnationen entweder dauerhaft, oder aber sie verfehlen einander andauernd: je nachdem, ob die äußeren Umstände in ihrem momentanen Dasein passen oder nicht. In der Quasi-Romanze „Past Lives“ spielt diese Idee eine wichtige Rolle. Hae Sung und Young Na halten sie zwar nicht unbedingt für wahr, aber in der Not ihrer tragischen Verbindung versuchen sie sich damit zu trösten. Wenigstens in einem anderen Leben, das sie sich imaginär ausmalen können, sind sie liiert. Nicht jedoch in ihrer gegenwärtigen Existenz, die Ende der 1990er-Jahre eine erste fatale Wendung nimmt.

Sie geht in den Westen, er bleibt

Celine Song greift in ihrem von der internationalen Kritik gefeierten, semi-autobiografischen Spielfilmdebüt „Past Lives“ das wohlbekannte Motiv der unerfüllten Liebe wieder auf. Sie kleidet es aber in derart sensible und kontemplative Bilder, dass man die zärtlichen Empfindungen der Charaktere jederzeit spüren kann. Genau wie sie selbst stammt die Protagonistin des Films, Young Na, aus Südkorea und übersiedelt mit zwölf Jahren in den Westen. Sie und Hae Sung lernen einander als präpubertäre Klassenkameraden in Südkorea kennen. Dann aber wandern Young Nas Eltern mit ihr nach Kanada aus und Hae Sung bleibt in der Heimat zurück.

Als sie sich Jahre später per Skype wiedersehen, hat die sich jetzt Nora nennende angehende Schriftstellerin (wunderbar gespielt von Greta Lee, einer koreanischstämmigen Kalifornierin) den Maschinenbau-Studenten (exzellent verkörpert von Teo Yoo, einem koreanischstämmigen Kölner) zuvor auf Facebook ausfindig gemacht, dieser damals brandneuen sozialen Plattform im Internet. Die brachgelegene Verbindung lebt durch ihre exzessive Nutzung moderner Kommunikationsmedien wieder auf.

Die beiden genießen ihre regelmäßigen Video Calls, bemerken aber zunehmend die räumliche Distanz zwischen ihren Wohnorten. Eine Fernbeziehung wiederum ziehen sie nicht in Betracht. Er ist genügsam und will in Seoul bleiben. Sie ist ehrgeizig und will in New York Fuß fassen. Keine tragfähige Perspektive für eine stabile Partnerschaft also, weswegen der Kontakt erneut abbricht.

Abermals vergeht mehr als ein Jahrzehnt, bis sie sich mit Ende 30 wiedersehen, diesmal leibhaftig, für eine zweitägige Sightseeing-Tour im Big Apple. Nora ist inzwischen selbstständige Autorin und mit einem jüdischen US-Schriftsteller verheiratet. Hae Sung arbeitet als Ingenieur, hat aber keine Karriere gemacht, weshalb seine Verlobte, die sich nach mehr Wohlstand sehnte, eine Beziehungspause verlangte. Er scheint nicht zu wissen, wie er Nora begrüßen soll, für die er extra angereist ist. Sie umarmt ihn gleich, hat jedoch ihren Ehemann im Hinterkopf, der von dem Treffen weiß, aber kein besitzergreifender Macho ist, der es verdient hätte, ausgetauscht zu werden (überhaupt sind die zwei Männer im Film, die eine emanzipierte Frau lieben, erfrischend generöse Softies).

Viele hat „Past Lives“ an die „Before“-Trilogie von Richard Linklater und den Oscar-prämierten Film „Moonlight“ von Barry Jenkins erinnert. Auch hier wird das halbe Leben zweier Menschen, die sich auf Anhieb sympathisch sind, anhand von drei Zeitabschnitten nacherzählt, während die längeren Phasen, während derer sie sich aus den Augen verloren haben, ausgeklammert sind. Allerdings ist Celine Songs „Pärchen“ (das eigentlich keines ist, da es in 25 Jahren jede Chance verpasst, zusammenzukommen) reservierter als die flirtenden Plaudertaschen bei Linklater und gesellschaftlich angepasster als die schwarzen, homosexuellen Außenseiter bei Jenkins. Es kommt außerdem nie zu einer physischen Vereinigung zwischen der akkulturierten Wahlamerikanerin und ihrem früheren Jugendschwarm, den sie einmal als typischen Koreaner bezeichnet, wegen dessen Verschlossenheit und Passivität.

Eine „Was wäre, wenn?“-Liebe

Einblick in ihre möglicherweise pathetischen Was-wäre-wenn-Fantasien erhält man ebenfalls nicht, obwohl man deren innere Präsenz durch vielsagende Blicke und Sprechpausen erahnt. Durch die feinfühlige Ästhetik und den diskreten Habitus der Helden gelingt Song und ihren Schauspielern das seltene Kunststück, die romantischen Gefühle der Charaktere füreinander weder unecht und aufgebauscht noch banal und alltäglich wirken zu lassen. „Past Lives“ ist nur im Verborgenen ein Melodram, im Konjunktiv statt im Präsens, was ihn umso herzzerreißender macht.

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