Reifeprüfung für den Siegertypen

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Wer zu den Allergrößten des Tennissports zählen will, muss zumindest einmal Wimbledon gewonnen haben. Andy Murray, 26, startet gegen seinen langjährigen Weggefährten, den Weltranglistenersten Novak Djoković, den nächsten Anlauf.

Andy Murray konnte die Tränen der Enttäuschung keine Sekunde länger zurückhalten. „Ich werde es versuchen, aber es wird nicht einfach“, rang er vor zwölf Monaten, nach dem verlorenen Wimbledon-Finale gegen Roger Federer, vor 15.000 Zuschauern auf dem Center-Court nach Worten, die seine Gefühlslage hätten beschreiben können. Diese Niederlage verursachte seelische Schmerzen, wie sie Murray nie zuvor verspürt hatte. Auch das vierte Grand-Slam-Finale seiner Karriere verlief für den Schotten unglücklich. Murray wurde seinem Ruf als ewiger Zweiter wieder einmal gerecht.

Nach dem Wimbledon-Endspiel 2012 saß er noch minutenlang in der Umkleidekabine, weinte bitterlich. In den Tagen danach kehrte er in sich, schöpfte neue Kraft für bevorstehende Aufgaben wie etwa die Olympischen Spiele in London. „Ich habe zwar das Finale verloren, war danach aber ohne Selbstzweifel. Ich hatte mir einfach nichts vorzuwerfen“, bemerkte Murray. Olympisches Gold und der erste Major-Triumph bei den US Open machten aus Murray einen anderen Spieler, einen Siegertyp eben. Vor den 127.Wimbledon-Championships drehte sich naturgemäß wieder alles um ihn. Seit einem Monat sind die Gazetten auf der Insel prall gefüllt mit Geschichten rund um Andy Murray. Nur er allein kann die britische Leidenszeit beenden, seit Fred Perry 1936 wartet Großbritannien auf einen Heimsieg im Herren-Einzel. Für den Hauptdarsteller ist diese Zeit des Jahres „purer Stress“, und dennoch, das versichert er, weiß er sie auch zu genießen.

„Es gibt doch nichts Schöneres, als in Wimbledon zu spielen“, murmelt er im schottischen Akzent, und muss wie so oft über die enorme Erwartungshaltung sprechen. „Druck“, sagt Murray, „mache ich mir selbst am meisten.“ Er wisse mittlerweile damit umzugehen und erinnert sich dabei an seinen ersten Profi-Auftritt im All England Club 2005. Als Nummer 312 der Weltrangliste benötigte der damals 18-Jährige eine Wildcard der Veranstalter, um überhaupt teilnehmen zu können. „Niemand hatte etwas von mir erwartet, ich verspürte keinerlei Nervosität. Es war einfach nur ein tolles Gefühl, auf dieser Anlage spielen zu dürfen“, erzählt Murray, der bei seinem Debüt erst in der dritten Runde am ehemaligen Wimbledon-Finalisten, dem Argentinier David Nalbandian, scheiterte. Acht Jahre später ist der Druck ungleich größer, der 26-Jährige vor Auftritten an der Church Road sehr wohl innerlich aufgewühlt, was er aber als durchaus positiv empfindet. „Ich bin gern nervös“, sagt er kopfnickend. „Es hilft mir, mich zu konzentrieren.“

Duell unter Freunden

Wenn Andy Murray heute Nachmittag (15 Uhr, live auf Sky) das nach zwei Turnierwochen nicht mehr allzu saftige Grün des Center-Courts betritt, steht eine ganze Nation hinter ihm. Der Staatsfeind Nummer eins wird in den Stunden darauf ein gewisser Novak Djoković sein. Der Weltranglistenerste aus Serbien weiß seit 2011, wie es sich anfühlt, in Wimbledon zu gewinnen. Murray und Djoković kennen einander seit Jugendtagen, trugen schon so manche Schlacht aus. Die beiden Konkurrenten verbindet eine lange Freundschaft, die durch die immer intensiver werdende Rivalität jedoch unvermeidbare Risse erhält. „Wenn man große Matches spielt, in denen viel auf dem Spiel steht, ist es schwer, eine echte Freundschaft zu pflegen“, gesteht Murray, der Djoković nach wie vor „immer wieder etwas textet“.

Vor dem großen Finale wird zwischen beiden Funkstille herrschen, erst nach dem Match werden die üblichen respektvollen Wortspenden ausgetauscht. Großbritanniens Tennisfans wünschen sich nichts sehnlicher, als ihren Helden wie vor einem Jahr wieder weinen zu sehen. Diesmal dürfen es aber Tränen der Freude sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2013)

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