Der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wurde der "Unterschlagung in großem Stil" beschuldigt. Beobachter vermuten einen politischen Prozess: Nawalny hatte Massenproteste gegen Präsident Putin organisiert.
Ein Gericht in der russischen Provinzstadt Kirow hat den prominenten Oppositionellen Alexej Nawalny am Donnerstag in einem umstrittenen Prozess wegen Unterschlagung schuldig gesprochen und zu fünf Jahren Lagerhaft und einer Strafzahlung von rund 25.000 Euro verurteilt. Nawalny wurde noch im Gerichtssaal festgenommen und in Handschellen abgeführt.
"Schande, Schande", brüllten einige Demonstranten, die sich vor dem Gericht versammelt hatten. Für den Verlauf des Donnerstags wurden weitere Proteste angekündigt, auch in der Hauptstadt Moskau. "Mit dem heutigen Urteil hat Präsident Putin der ganzen Welt mitgeteilt, dass er ein Diktator ist, der seine politischen Gegner ins Gefängnis schickt", sagte der Oppositionspolitiker Boris Nemzow, der unter Präsident Boris Jelzin Ende der 90er-Jahre Vizepremierminister gewesen war.
Finanzmärkte reagierten bereits
Auch die Finanzmärkte reagierten bereits: An der Moskauer Börse gingen die Kurse nach dem Urteil nach unten. Ausländische Investoren fürchten ein weiteres Zurückdrängen des Rechtsstaats.
Die Staatsanwaltschaft in Kirow, 900 Kilometer östlich von Moskau, hatte sogar sechs Jahre Lagerhaft für den 37-jährigen Anwalt und Blogger gefordert. Er soll 2009, in seiner Zeit als Berater des liberalen Gouverneurs der Region Kirow, dafür verantwortlich gewesen sein, dass ein staatliches Unternehmen 10.000 m³ Holz zu einem Preis weit unter dem Marktwerkt verkauft hat und sich bei dem Geschäft bereichert haben.
Haftstrafe vereitelt Kandidatur in Moskau
Beobachter vermuten freilich einen politischen Prozess, denn Nawalny ist einer der Organisatoren von Massenprotesten gegen Präsident Wladimir Putin. Zudem will Nawalny nun direkt in die Politik einsteigen: Am Mittwoch wurde er prinzipiell zur Bürgermeisterwahl in Moskau im heurigen Herbst zugelassen. Die Verurteilung hat diese Pläne nun allerdings zunichte gemacht.
Wenige Stunden nach dem Urteil hat der Kreml-Kritiker seine Kandidatur selbst zurückgezogen: "Das Format der Agitation ändert sich. Der Wahlkampfstab wandelt sich in einen Boykottstab", sagte Leonid Wolkow, der Leiter dieses Wahlkampfstabs.
"Versuch, Nawalny zu isolieren"
Menschenrechtler sprachen von einem Schauprozess. "Die Verurteilung Nawalnys sieht weniger wie eine Strafe aus, sondern wie ein Versuch, ihn von der Gesellschaft und vom Wahlprozess zu isolieren", meinte Ex-Finanzminister Alexej Kudrin, der sich intensiv mit dem Prozess beschäftigt hat. Auch der rrussische Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow nannte den Einsatz der Justiz gegen Oppositionelle "inakzeptabel". Das Urteil würde beweisen, dass es in Russland keine unabhängige Justiz gebe, so der Ex-Sowjetchef.
Nawalny, der mit einer Verurteilung gerechnet hatte, reagierte auf den Spruch von Richter Sergej Blinow mit einem Lächeln. Der Richter ist bekannt dafür, so gut wie nie jemanden freizusprechen. Via Twitter meinte Nawalny wenig später, der Richter habe in seiner Urteilsbegründung schlicht und einfach die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft wiederholt.
Verfahren war bereits eingestellt
Der Prozess war von zahlreichen Merkwürdigkeiten geprägt. So hatte die lokale Staatsanwaltschaft die Ermittlungen in dem Fall bereits eingestellt, weil sie kein rechtswidriges Verhalten erkennen konnte. Auf Weisung der obersten Strafverfolgungsbehörde in Moskau wurde es allerdings wieder aufgenommen.
Zudem hat die Staatsanwaltschaft als Schadenssumme den gesamten Kaufpreis der Holzladung geltend gemacht, und nicht die Differenz zum Marktpreis. Ex-Finanzminister Kudrin hatte sich durch die Anklage an die Sowjet-Ära zurückerinnert gefühlt, als es staatlich verordnete Preise gegeben habe.
(APA/Reuters/red.)