Israels Premier Netanjahu kämpft mit der Siedlerlobby, Palästinenserchef Abbas mit der Hamas, dem allgemeinen Unmut und mangelnder Legitimität.
Jerusalem. Nach drei Jahren Stillstand nehmen Israelis und Palästinenser in Jerusalem wieder Friedensgespräche auf. Sie wollen den tiefen Graben zwischen beiden Seiten überbrücken. Doch die Differenzen zwischen den zwei Völkern sind nur ein Teil des Problems. Die innere Opposition auf beiden Seiten ist gewaltig. Sie schränkt den Spielraum der Verhandlungsführer ein.
„Ich weiß, die Gespräche werden komplex und sehr schwer werden“, gab Israels Chefunterhändlerin Tzipi Livni kürzlich auf ihrer Facebook-Seite zu. Eine Aussage, die auf der Hand liegt, verhandeln Israelis und Palästinenser doch schon seit 20 Jahren erfolglos. In den kommenden neun Monaten wird Livni mit palästinensischen Gesandten um Themen von symbolischer und existenzieller Bedeutung ringen, wie die Teilung Jerusalems, die Zukunft der Siedlungen, das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge oder die Kontrolle über Wasser oder elektromagnetische Frequenzen.
Dennoch dürfte Livni mit ihrer Wehklage nicht nur die Verhandlungen mit den Palästinensern gemeint haben. Mindestens genau so verbissen wird sie mit Opponenten im eigenen Lager zu kämpfen haben. Denn auf beiden Seiten gibt es großen Widerstand.
Begrenzter Handlungsspielraum
Schon der Auftakt macht den begrenzten Handlungsspielraum von Israels Premier Benjamin Netanjahu und Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas deutlich. Abbas brauchte einen kleinen Erfolg, um seine Rückkehr an den Verhandlungstisch daheim zu rechtfertigen. Er gab Netanjahu drei Optionen: die Anerkennung der Waffenstillstandslinie von 1967 als Verhandlungsgrundlage, einen Siedlungsstopp oder die Freilassung palästinensischer Häftlinge.
Netanjahu fiel die Wahl schwer: Selbst wenn er der Teilung inzwischen prinzipiell zustimmt, schließt er die grüne Linie als Ausgangspunkt für eine solche Teilung kategorisch aus. Einen Siedlungsstopp konnte er nicht wieder durchsetzen. Seine Koalition, vier Parteien, die in der Knesset über insgesamt 68 Stimmen verfügen, stützt sich auf zwölf Abgeordnete der Partei „Das jüdische Haus“. Sie gilt als Vertreterin der Siedler. Ihr Chef, Wirtschaftsminister Naftali Bennett, erklärt immer wieder, einen Palästinenserstaat dürfe es nie geben, weil er Israels Existenz bedrohe. Er lässt Verhandlungen nur zu, weil er nicht an sie glaube. Livni darf palavern. Machte sie aber Fortschritte, verließe er sofort die Koalition.
Bennett würde nicht allein meutern. Netanjahus eigene Likud-Partei wird von Sympathisanten der Siedler systematisch unterwandert. Sie wissen, dass sie den Likud kontrollieren müssen, wenn sie die Regierung beeinflussen wollen. Die Wahlen im Jänner belegten es deutlich: In vielen Siedlungen gab es weniger Likud-Wähler als Parteimitglieder. So degradierte die Siedlerlobby pragmatische Minister in parteiinternen Vorwahlen zu Hinterbänklern und ersetzte sie durch Vollblutideologen, die einen Palästinenserstaat ablehnen und den dritten jüdischen Tempel in Jerusalem errichten wollen – anstelle des Felsendoms.
Also entschloss Netanjahu sich für die Freilassung von Häftlingen. Um seine Basis zu besänftigen, verkündete er gleichzeitig neue Siedlungsbauvorhaben. So machte er den kleinen Erfolg von Abbas gleich wieder zunichte. Dieser ringt daheim ohnehin um Glaubwürdigkeit. Seine Autonomiebehörde steht vor dem Bankrott, sein Ansatz des friedlichen Widerstands bescherte keinen Wohl-, sondern Stillstand. Das macht auch Netanjahus Geste nicht wett. „Das Hochgefühl nach der Freilassung von Häftlingen hält nicht länger als 24 Stunden an“, sagt der palästinensische Journalist Sam Bahour aus Ramallah. Direkt danach dächten Palästinenser wieder daran, dass Israel ihren Alltag unerträglich mache: „Jede Nacht werden Verhaftungen durchgeführt, Siedlungen gebaut, und unsere Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt.“
Abbas größtes Manko sei aber die mangelnde Legitimität. Sie stellt längst nicht mehr nur die radikal-islamische Hamas, sein wichtigster innenpolitischer Kontrahent, infrage. Abbas Amtszeit lief Anfang 2009 aus, Wahlen ließ er seither nicht zu. „Wie kann Abbas in unserem Namen sprechen?“, fragt daher nicht nur Bahour. Alle politischen Parteien kritisierten Abbas für die Rückkehr an den Verhandlungstisch, auch seine eigene Fatah. Da hilft die Unterstützung der Arabischen Liga kaum: „Die Diktatoren der arabischen Welt besitzen keine Glaubwürdigkeit mehr. Wir wollen die Unterstützung des Tahrir-Platzes, nicht amerikanischer Vasallen“, sagt Bahour.
Solche Worte beflügeln israelische Kritiker. Selbst wenn eine Einigung mit Abbas erzielt werden könnte, sei unklar, wie diese umgesetzt werden könne. Im von der Hamas dominierten Gazastreifen habe Abbas nichts zu sagen. Und er habe auch kein Mandat, im Namen der palästinensischen Diaspora zu sprechen.
Selbst wenn es Livni und ihren palästinensischen Verhandlungspartnern Shtaye und Erekat in den renovierten Suiten des King-David-Hotels in Jerusalem gelingt, ihre Differenzen zu überbrücken, bleibt Netanjahu und Abbas vor den Toren der Edelherberge viel Arbeit damit, ihre eigenen Völker zu überzeugen, einem Friedensvertrag auch zuzustimmen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2013)