Trendforscher: Das Geschäft mit der Zukunft

Trendforscher Geschaeft Zukunft
Trendforscher Geschaeft Zukunft(c) EPA (ANDY RAIN)
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Sie wissen, ob die nächste Saison schwarz oder weiß, hypertechnologisch oder bodenständig wird. Ein Blick hinter die Kulissen.

Mindestens zweimal die Woche landet ein Mail vom Lifestyle-News-Network LS:N im Posteingang. Darin enthalten: Microtrends und sogenannte Seeds, aus denen eventuell echte Trends keimen. Da wird zum Beispiel vom SLA Lab in Amsterdam berichtet, einer neuen Salatbar samt Labor, in der man mit Grünzeug experimentieren und sich darüber informieren kann. Für LS:N haben Labore Potenzial zum Trend, weil es ein neuer Weg ist, Kunden zu binden. Spätestens dann, wenn man aber Genaueres wissen will, wird man zur Kassa gebeten. Der Bildschirm meldet: Subscribe! Die Zukunft zu kennen kostet eben Geld. Viel Geld.

Regel Nummer eins im Geschäft mit den Vorhersagen lautet: Gib Zukunftstrends einen aussagekräftigen Namen. Im seltensten Fall lassen sich diese gut ins Deutsche übersetzen, wie etwa „Hyper-Culture“, „Radical Neutrality“ und „Ego Humanism“. Diese drei Megatrends wurden vor zwei Jahren vom weltgrößten Online-Trendanalysten WSGN (Worth Global Style Network) für 2013 vorhergesagt. Mit mehr als 300 Mitarbeitern spürt der Konzern Trends auf allen Kontinenten auf. „Wir schauen aber nicht etwa in eine Glaskugel“, erklärt Laura Kaufmann bei einer Trendpräsentation ihren Job. „Wir beobachten jede Form von Kunst, Kultur, Architektur, Essen, Politik, Wissenschaft, Technologie, und daraus bewerten wir das Potenzial des Neuen.“ So ist es möglich, dass ein Beitrag aus den Abendnachrichten von heute Einfluss auf den Lebensstil der Menschen in zwei Jahren hat.

Die Orakel im Netz

Im Zeitalter der Hyperkonnektivität durch soziale Medien ist eine Strukturierung der Vorhersagen wichtiger denn je. Trendprognosen selbst hat es jedoch immer schon gegeben. In Form von dicken Trendbüchern mit Farben und Mustern darin. Sie kamen nach den großen Stoffmessen heraus, die ebenfalls gut zwei Jahre, bevor neue Produkte im Laden sind, stattfinden, und sollten die nächsten Saisonen beeinflussen. 1997 gründeten die Brüder Julian und Marc Worth besagtes WGSN, eine Onlineplattform, die sie schon wenige Jahre später für 160 Mill. Euro an Emap verkauften. 2003 startete Frank Bober mit Stylesight ein günstigeres Weborakel.

Trendforscher gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, aber in der Web-Oberliga spielen die beiden Erzrivalen WGSN und Stylesight. Sie haben so gut wie alle großen Lifestylekonzerne unter Vertrag – Modelabels, Kaufhäuser, Möbelhersteller, die Beautyindustrie, Verlage, Hotelketten, Werbeagenturen. In Summe geben Labels 50 Milliarden Euro für Trendspotting aus. Niemand will falsche Entscheidungen treffen, das macht die Preise für die Zukunft eben ganz schön happig. Beim WGSN, das mittlerweile auch das reichhaltige „Vogue“-Archive betreibt, schlägt das Jahresabo (Preise gibt es nur auf persönliche Anfrage von Kunden) mit mindestens 15.000 Euro zu Buche. Stylesight kostet angeblich die Hälfte und lockt Kreativdirektoren mit Tools zur Weiterbearbeitung von Bildern, Farben und Illustrationen in ihrer Datenbank.

Dann gibt es noch das Zukunfts-Takeaway: Bei dem zu LS:N gehörigen Future Laboratory startet die Teilnahme am halbtägigen Food-Future-Forum bei 1000 Euro, die Global-Briefing-Show unter dem diesjährigen Titel „Strange Days“ erlebt man für 600 Euro. Im Onlinestore stehen außerdem Trendreports zur Mitnahme. Die 2013er-Editionen über Luxus, Technik, Verpackung oder Konsumenten kosten je 560 Euro, ältere Versionen immerhin noch 200 Euro. Die Retail-Schlüsseltrends für 2012 halten offenbar immer noch. Man könnte auch sagen, die Begriffe wurden so gut gewählt, dass sie möglichst lange neugierig machen. Vasstige etwa bezeichnet eine aus der Krise entstandene Konsumentengruppe, die nachhaltige, dennoch preiswerte Ware verlangt. Leanomics heißen jene, die auf Werte, Vertrauen und Respekt bauen. Mehr vorstellen kann man sich unter den Bedürfnissen nach Superconvenience und Hyperlocalism.

Die großen Institute nehmen für sich in Anspruch, dass sie „the next big thing“ bereits ab dem Zeitpunkt des Aufpoppens verfolgen. Da werden von den Mitarbeitern tausende Fotos in Paris, Mailand, New York oder Hongkong geschossen, die dann zentral verglichen werden. Gibt es Signale? Was hat Relevanz und Kraft zur Veränderung? Wie entwickeln sich Muster und Farben? Bei WGSN kommen zweimal im Jahr die Content-Direktoren mit vorgefilterten Informationen aus ihren Märkten zusammen und tauschen sich aus. So werden Trends ausformuliert und verstärkt. Denn verrät man allen Kunden, dass dieser Trend groß wird, macht man ihn groß. Böse Zungen sagen Selffulfilling Prophecy dazu.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2013)

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