St. Pölten

Das Frequency Festival als Schule der Entgrenzung

Die totale Party: Frequency-Besucher auf dem Campingplatz.
Die totale Party: Frequency-Besucher auf dem Campingplatz.APA / Florian Wieser
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Die jungen Besucher bemeistern mit fohlenhafter Unbekümmertheit den Lärmparcours bei St. Pölten. Mit dabei waren zum Start Die Ärzte, Macklemore, Limp Bizkit und die Schweizer Plemplem-Kapelle Fäaschtbänkler.

Sie sind schon ein bisserl wie zwei alte Eheleute, die beiden Barracuda-Festivals Nova Rock und Frequency. Sie ähneln einander mehr und mehr. Es ist nicht einmal Tabu, eine Band wie die Ärzte im selben Jahr auf beiden Festivals als Headliner zu verpflichten. Programmiert wird wie im Formatradio. Die Praxis lautet: buchen nach Zahlen. Und so haben die Macher seit sechs Jahren eine stilistische Standpunktlosigkeit kultiviert, die ziemlich gewinnbringend zu sein scheint.

Einen Nutzen immaterieller Art haben dabei die jungen Besucher. Diese Festivals fungieren als Schule der Entgrenzung. Mit fohlenhafter Unbekümmertheit schlürften die Youngsters auch heuer geistige Getränke und winkten mit vorbereiteten Spruchtafeln wie Fahrdienstleiter, die den Zug nach Nirgendwo abfertigen. „This is Top“ stand da zu lesen. Und auf der Rückseite „This is Not”. Wenn man schon in die Hörgeschehnisse nicht eingreifen konnte, durfte man sich doch eine Meinung bilden.

Top war auf jeden Fall der Auftritt der Schweizer Fäaschtbänkler. Sie hatten etwas im Angebot, das dringlich nachgefragt wurde: die totale Party. Sie feiern ihre Feten nicht nur mit Pauken und Trompeten, sangen die Burschen programmatisch. Dazu gesellten sich nämlich eine quietschfidele Ziehharmonika, eine fette E-Gitarre sowie eine schrille Trompete. „Es wird so wunderschön, wenn wir uns wiedersehen, denn wir warten alle schon auf die Eskalation.“ Vorsorglich wurden die Fans mit dem Schlauch abgespritzt, wie das Vieh, bevor es auf die sonnendurchflutete Weide gelassen wird.

Eine reuelose Gaudi

Die Fäaschtbänkler führen ein Konzept forsch fort, das James Last in den Sechzigerjahren entwickelt hat, mit seinem Nonstop-Dancing und der Komprimierung von drei Welthits auf zweieinhalb Minuten. Sie schreiben ihre Songs selbst, ornamentieren sie allerdings an allen möglichen Ecken und Enden mit den ausgelutschtesten Melodien der Welt. Da erschallte ein „Ave Marie“ und plumpste unverzüglich in Deichkinds „Remmidemmi“. Um die Ecke lauerte bereits der unwiderstehliche Jazz-Groove vom „Rosaroten Panther“. In ihrem Sinn für Exotik lockten sie dann nach Mexiko. Bei „La Bamba“ und „Sierra Madre“, aus der Feder der berüchtigten Zillertaler Schürzenjäger, zeigte die Nadel des moralischen Kompasses in Richtung reuelose Gaudi.

Diese Kombo spielt nicht nur, wie Sänger Roman Wüthrich sardonisch bemerkte, „25 Musikstilrichtungen durcheinander“. Sie ließ auch die Hose des guten Geschmacks so weit runter, dass diese nicht mehr zu sehen war. Stimmung auf Knopfdruck: die Königsdisziplin des Planeten Party, samt Interaktion mit den Fans. Und so wackelten die Schweizer verwegen musizierend durch die Menschenmassen vor der Bühne. Dabei sangen sie bedeutungschwangere Zeilen wie „Die Welt ist voller Wunder, und du kannst sie sehen, und ich stell keine Fragen, denn ich muss es nicht verstehen.“ War das ein Toleranzpatent für die heutige Zeit?

Die Tuba ächzte „Oomph, oomph“ und das Akkordeon zeigte Zähne. „Heut´ geht keiner allein nach Hause,“ lautete die Losung. Tausende Kehlen grölten glückselig „Lass uns wieder Liebe machen“, und all die Hände klatschten hoch über den Schädeln. Das war Eskapismus pur, beinah wie am Juzi-Open-Air im Zillertal. Die Älpler stellten aber auch wichtige Fragen. Erotik interessiert die Fäaschtbänkler immens, aber ihr Ansatz war weit gefasst, mit Themen wie „Hab´ ich wirklich alles, was ich brauch´?“ und „Was soll ich tun, wenn mir die Worte fehlen?“.

Er ist grau geworden: Fred Durst von Limp Bizkit
Er ist grau geworden: Fred Durst von Limp BizkitAPA / Florian Wieser

Ein Interesse für Soziologisches, das die Schweizer mit Fred Durst teilen, dem Raukehlchen der Nu-Metal-Band Limp Bizkit. Der fragte forsch, wer denn aller für den Rapper Macklemore gekommen sei. Die, die aufzeigten, schickte er unverzüglich weg. Die herrlich raue Anmutung dieser Musik war ein idealer Kontrast zur beinah gewalttätigen Harmonie der Fäaschtbänkler.

In der kommerziellen Schwundstufe

Aber ums gute Leben ging es auch in den Ansagen von Durst. Er empfahl Kokain, fantasierte von „Boobs“ und ortete Ufos. Wunderbar. Fazit: Limp Bizkit sind in ihrer Verfallsphase interessanter als in der Blüte ihrer Jahre. „Life is too short to be a piece of shit” war eine wertvolle Sentenz. Dann schrammelten sie ihre Hits wie „Take A Look Around” (vom Soundtrack für Mission Impossible Zwei), „Rollin´” und das Who-Cover „My Generation” derart verrätselt runter, dass sie durchaus frisch klangen.

„How many people are from Austria here?“ fragte Macklemore
„How many people are from Austria here?“ fragte MacklemoreAPA / Florian Wieser

Es folgte der Fragenkatalog von Macklemore, der auch schon zum vierten Mal beim Frequency gastierte. Das simple „How many people are from Austria here?“ ragte heraus. Mit dieser plumpen Form der Kommunikationseröffnung glückt dem Rapper der Statussprung in die Erhabenheit nicht mehr. Mit unkaputtbarem Enthusiasmus deklinierte dieses One-Trick-Pony seine Hits wie „The Heist“, „Thrift Shop“ und „Can´t Hold Us“. Das Wiedererkennen kitzelte angenehm.

Zunächst recht anregungsarm fand das Publikum die Ärzte, die aber spürbaren Spaß an ihrer Arbeit hatten. Im Gegensatz zu den Toten Hosen sind sie ja in Würde gealtert. Zudem haben sie den Intelligenzbonus im direkten Vergleich der beiden deutschen Seniorenpunkerkapellen. Die Fragen der Ärzte haben Hintersinn. Mit „Seid ihr etwa unterfordert?“ wurden die Leute mit ihrer Erschöpfung ob des Überangebots an Brachialem davor konfrontiert. Neben drei Bühnen – Space Stage, Green Stage und Red Bull Stage – galt es ja zahlreiche weitere, brutal tönende Geselligkeitsräume zu bemeistern. Mit Fortdauer ihrer Performance wurlte es dann doch recht heftig bei den gutgelaunten Oldtimern.

Sänger Farin Urlaub und Schlagzeuger Bela B hatten Spaß bei der Arbeit
Sänger Farin Urlaub und Schlagzeuger Bela B hatten Spaß bei der ArbeitAPA / Florian Wieser

Ihre Losung „Das Leben ist ´ne Party, wohoo!“ aus dem Schulschlussklassiker „Herrliche Jahre“ zeigte immerhin Spurenelemente von Devianz. Aber insgesamt ist das Festival als Geselligkeitsformat in seiner kommerziellen Schwundstufe angekommen.

Frequency Festival

Rund 150.000 Besucherinnen und Besucher werden beim Frequency Festival von Donnerstag bis Sonntag erwartet. Auf der Setlist stehen unter anderem die Las-Vegas-Rocker von Imagine Dragons und das niederländische DJ-Urgestein Armin van Buuren.

Wettermäßig sind Höchstwerte um die 30 Grad Celsius zu erwarten, aber Gewitter sind nicht auszuschließen. 

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