Sittenbilder aus dem Krankenhaus

Sexismus im Spital: „Ich schau so gern zu, wenn Sie sich räkeln“

Antonia Greb (v. l.) und Anna-Christina Kichler wollen, dass sich die strukturelle Benachteiligung von jungen Frauen in der Medizin ändert.
Antonia Greb (v. l.) und Anna-Christina Kichler wollen, dass sich die strukturelle Benachteiligung von jungen Frauen in der Medizin ändert.Clemens Fabry
  • Drucken
  • Kommentieren

Sie werden belästigt, mit anzüglichen Kommentaren bedacht oder anders behandelt als ihre männlichen Kollegen. Über Sexismus in Spitälern wurde bisher geschwiegen. Nun protestieren junge Ärztinnen gegen das System.

Er hat seine Hand auf ihr Knie gelegt. Damals im Nachtdienst, als sie gerade einmal Anfang 20 Jahre alt war. Sarah Eder (Name von der Redaktion geändert) absolvierte gerade ihr Klinisch-Praktisches Jahr in einem Krankenhaus in Wien. Der Nachtdienst war freiwillig, aber wer zeigt nicht gern Einsatz und ist neugierig, wenn es um die eigene Berufsausbildung geht. An jenem Abend schien auch der circa 50 Jahre alte Oberarzt „eigentlich recht nett“ zu sein.

Nachdem Eder ihr Zimmer gezeigt worden war, machte sie sich daran, sich für den Nachtdienst einzurichten. Als es plötzlich an der Tür klopfte und der Oberarzt eintrat. „Dann setzt er sich zu mir aufs Bett, legt seine Hand und auf mein Knie und sagt: ,Sarah, wenn du in der Nacht schlecht träumst, meine Tür ist nicht zugesperrt.‘“

Heute erzählt Sarah Eder empört von jener Nacht, selbstbewusst und ein paar Jahre älter, wie sie ist. Aber damals: „Was sagt man auf so etwas?“ Eher verdattert antwortet sie: „Ich glaube nicht, dass ich mich fürchten werde, aber danke.“

Räkeln für den Oberarzt

Szenenwechsel in ein anderes Krankenhaus in Wien. Dieses Mal betreffen die Vorfälle Anna-Christina Kichler. Wieder geht es um einen Oberarzt im Nachtdienst, wieder ist es eine junge Ärztin, die am Anfang ihrer Karriere steht. „Es gab da dieses Telefon, das man aufladen musste, und der Oberarzt hat das Telefon immer relativ weit hinauf ins Regal getan“, erzählt sie. Jedes Mal, wenn sie das Telefon brauchte, musste sie sich vor ihm strecken, um das Regalfach zu erreichen. „Irgendwann sagte ich zu ihm: ,Könnten Sie es bitte unten lassen, ich erreiche es so schwer.‘ Darauf sagt er: ,Nein, ich schau Ihnen immer so gern zu, wenn Sie sich räkeln.‘“

Marlene Sachs erging es im OP nicht viel anders. Auch sie war damals noch Studentin. Eine Szene hat sich ihr besonders eingeprägt: Ein relativ junger Oberarzt und ein Famulant unterhielten sich während einer Brustoperation zunächst über Autos. Plötzlich wechselte der Oberarzt abrupt das Thema und fokussierte Sachs. Sie sei, sagt er, sicher eine, die „nur One-Night-Stands“ im Sinn habe.

Gut qualifiziert, aber „dicke Beine“

Katja Huber (Name geändert) wiederum traute ihren Ohren nicht, als sie mit ihrem Chef – einem Primar in einem Wiener Krankenhaus – vor drei, vier Jahren eine neue Kollegin suchte. Nach dem Vorstellungsgespräch sagte er über eine Bewerberin, die Huber für sympathisch und gut qualifiziert hielt: „Aber haben Sie nicht gesehen? Die hatte dicke Beine.“ Und überhaupt sei sie eine Frau: „Die wird sicherlich bald schwanger.“

Die Situationen, die Sarah Eder, Anna-Christina Kichler, Marlene Sachs und Katja Huber schildern, sind keine Einzelfälle. In den vergangenen Wochen hat „Die Presse am Sonntag“ Erzählungen von jungen Ärztinnen in Wien und Niederösterreich zusammengetragen. Sie alle schildern ein Sittenbild, in dem junge Ärztinnen von ihren Vorgesetzen – oft sind es Oberärzte und Primare – mit anzüglichen Kommentaren verunsichert und teilweise sexuell belästigt werden.

Sieben Ärztinnen haben der „Presse am Sonntag“ von ihren Erfahrungen berichtet. Teils anonym, weil sie sonst mit beruflichen Konsequenzen rechnen müssen, teils unter ihrem richtigen Namen, weil sie sich politisch in der Kammer engagieren und das Problem aufzeigen wollen. Nicht jedes Beispiel hat in diesem Artikel Platz – dafür sind es zu viele. Namen von Ärzten oder Krankenhäusern werden nicht genannt, weil es nicht um Einzelfälle, sondern um ein Strukturproblem geht. Eines, das die ganze Branche betrifft – vom kleinsten Spital bis zum Hightech-Krankenhaus in Wien.

Unangenehmes Candle-Light-Dinner

Sarah Eder etwa ist heute 29 Jahre alt und arbeitet noch immer in dem Krankenhaus, in dem sich die Vorfälle abgespielt haben. Auch wenn sie mittlerweile in ihrer Fachausbildung ist und damit die Abteilung gewechselt hat. Was wichtig ist. Dort, wo sie jetzt ist, seien ihre keine Vorfälle bekannt. Vielleicht, weil es mehr Frauen im Team gibt – und sie mittlerweile fix angestellt ist. „Es passiert den Kolleginnen eher dann, wenn sie keinen festen Vertrag haben.“

»»Er sagte: ›Sarah, wenn du in der Nacht schlecht träumst,
meine Tür ist nicht zugesperrt.‹««

Sarah Eder

Junge Ärztin

Mitte 20, als sie die Basisausbildung absolviert, ist dem nicht so. Dort ist es Teil der Ausbildung, nach wenigen Wochen die Abteilung zu wechseln. Das mache, wird sie später erzählen, besonders verwundbar. Wieder ist sie im Nachtdienst, wieder ist es ein Oberarzt, dieses Mal um die 60 Jahre alt, der fragt, ob sie Essen mitbestellen will. Sie denkt sich nichts dabei, weil es völlig normal ist, dass eine größere Gruppe an Kollegen im Nachtdienst Speisen bestellt. Bis sie zum Essen gerufen wird – in jenen Außenbereich, der etwas abgeschirmt vom Rest der Teamfläche ist. „Ich kam hin, und da war ein gedeckter Tisch mit weißem Tischtuch und Kerze und meinem Essen, das schön hergerichtet ist. Das war ein Candlelight-Dinner!“, schildert sie.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.