Russland

Putin ist kein Betriebsunfall der russischen Geschichte

Die russischen Zaren inspirieren Präsident Wladimir Putin. Hier die Krönung von Zar Nikolaus II. 1896.
Die russischen Zaren inspirieren Präsident Wladimir Putin. Hier die Krönung von Zar Nikolaus II. 1896.Getty Images
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Vertieft man sich in die Geschichte der russisch-polnisch-ukrainischen Beziehungen der letzten 300 Jahre, sieht man: Vergangenheit und Gegenwart sind im russischen imperialen Denken vielfältig aufeinander bezogen. 

Hundert Tage nach dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine, am 9. Juni 2022, lud der russische Präsident, Wladimir Putin, junge Leute aus der Leistungselite seines Landes, Unternehmerinnen, Ingenieure, Wissenschaftler, zu einem Round-Table-Gespräch. Ihre Zukunft war durch die Isolation des Landes düster geworden. Wie motivierte er sie, welche Perspektive bot er ihnen? Das Gespräch mündete in einen Exkurs über die Zarenzeit, es gehe, so Putin, bei aller Anerkennung von technologischer Innovation um das „Erobern und Befestigen“ von „russischem Land“, durchaus mit harten militärischen Mitteln wie damals.

Der Auftritt macht eine Anekdote, die man sich unmittelbar nach Beginn des Ukraine-Kriegs erzählte, glaubhaft. Außenminister Sergej Lawrow, offensichtlich uninformiert über die Invasion, habe in einer Oligarchenrunde auf die Frage, wer Putin zu diesem aggressiven Vorgehen geraten habe, geantwortet: „Drei Personen, Iwan der Schreckliche, Peter der Große, Katharina die Große.“

Ist es also Russlands Geschichte, die Idee des Imperiums, die damit verbundene Ideologie der Machtausdehnung und -festigung, die das entscheidende Erklärungsmuster für das aktuelle Geschehen bietet? Die Art, wie Putin in seinen historischen Exkursen an Mythen und Obsessionen der Vergangenheit festhält, legt das nahe. Martin Schulze Wessel, Professor für die Geschichte Ost- und Südosteuropas in München, hat nun in einer brillanten Epochendarstellung die tief verwurzelten imperialen Ideen, die die russische Geschichte vom 18. Jahrhundert bis heute bestimmen, erklärt, vor allem im Umgang der Russen mit den Polen und Ukrainern. Es ist vor allem die Ukraine, die in diesem Denken nicht zu trennen ist von der eigenen Nation und unentbehrlich für die Ausübung imperialer Macht erscheint. Das Gefährliche daran nach Schulze Wessel: Das ist „Teil eines russischen Identitätsproblems“.

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