Slawistik

Lehrplanreform als Kriegsfolge

Die Slawistik betrachtet vermehrt verschiedene Länder des Sprach- und Kulturraums, die bisherige Fokussierung auf Russisch wird infrage gestellt.
Die Slawistik betrachtet vermehrt verschiedene Länder des Sprach- und Kulturraums, die bisherige Fokussierung auf Russisch wird infrage gestellt. Getty Images
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Der russische Angriffskrieg bedeutet für viele Slawistik-
Institute, ihre Lehre neu aufzustellen. Soll Russisch weniger Gewicht bekommen? Und welche Sprachen dafür aufwerten?

Der Begriff der „Dekolonisierung“ – der Entlassung von Kolonien in die Unabhängigkeit  – wird heute auch für den Kampf der Ukraine gegen Russland verwendet. Ebenso sprechen Slawistik-Institute davon, sich zu „dekolonisieren“, wenn es um den künftigen Umgang mit Russisch und den beiden anderen ostslawischen Sprachen Ukrainisch und Belarussisch geht. „Nicht nur bei uns, auch in Großbritannien, in den USA, in Deutschland und der Schweiz war die Ostslawistik, als Teilbereich der Slawistik, vor allem russistisch ausgelegt“, berichtet Miranda Jakiša, die Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Slawistik. „Belarus und Ukraine kamen oft nur unter ,ferner liefen‘ vor. Ukraine-Expertise war eher selten, und echte Expertise zur belarussischen Spezifik gab es bisher bei uns kaum. Das ändert sich gerade grundsätzlich.“

In Österreich nie nur Russisch

Bei einer Slawisten-Tagung in ­Hannover, an der Jakiša vor einigen Wochen teilnahm, ging es unter anderem um die künftige Ge­wichtung der drei Sprachen. In Deutschland sei Slawistik häufig ein „Russisch plus“-Studium. „Das heißt, man studierte Russisch und eine beliebige weitere slawische Sprache.“ In Österreich sei die ­Slawistik allerdings nie ausschließlich auf Russisch fokussiert gewesen, schon wegen der Nähe zu einigen slawischen Ländern und der geschützten Minderheitensprachen Slowenisch und Burgenlandkroatisch.

Auch hierzulande werde die Russistik zwar integraler Bestandteil der Slawistik bleiben, allerdings müsse man auf die aktuelle Lage reagieren. „Viele Russisch-Lehrmaterialien und Lehreinheiten, zum Beispiel zum Einkaufen oder zu Sehenswürdigkeiten in Moskau, sind einfach untragbar geworden“, so Jakiša. Abseits der Sprachvermittlung stelle sich die Frage, wie mit der imperialen Geisteshaltung russischer literarischer Klassiker umzugehen sei; oder wie die Sprachgeschichte in der Ost­slawistik zu lehren sei, ohne dass sie Putins historischer Verfälschung von der angeblichen „altrussischen Sprache“ in die Hände spiele.

Ukrainisch erlebt Aufschwung

Was Ukrainisch betrifft, so geht es darum, wie die Ukrainistik entwickelt und dafür Interesse geweckt werden kann. In Österreich haben laut Jakiša neben der Universität Wien, an der ohnehin eine gut ausgebaute Ukrainistik besteht, auch alle anderen Slawistik-Standorte – in unterschiedlichem Ausmaß – Ukrainisch-Angebote auf die Beine gestellt.

„In Graz und Innsbruck gibt ganz neue Ukrainisch-Sprach­angebote. In Innsbruck wurde zudem ein OeAD-Sommerkolleg durchgeführt, bei dem man beim Bergwandern gleichzeitig Ukrainisch lernen konnte. Die Innsbrucker Slawistik hat auch blitzschnell curricular auf den Krieg reagiert und Bosnisch/Kroatisch/Montenegrinisch/Serbisch als alternative Hauptsprache neben Russisch eingeführt.“ Ab dem Wintersemester 2024 könne man in Innsbruck Ukrainisch als zweite Sprache studieren, was zuvor nicht möglich gewesen sei.

„Russisch war in Innsbruck lange Zeit die slawische Sprache mit den meisten Studierenden und den besten Berufsaussichten“, sagt Jürgen Fuchsbauer, der Leiter der Slawistik an der Universität Innsbruck. Seit dem Einmarsch Russlands in den Donbass 2014 gehe das Interesse an der russischen Sprache hingegen – so wie an sehr vielen Slawistik-Instituten – merklich zurück. Umgekehrt verzeichne man seit Längerem aus Tirol und den angrenzenden Bundesländern beträchtlichen Zulauf zu Bosnisch/Kroatisch/Montenegrinisch/Serbisch (BKMS), sodass die Entscheidung nahe lag, es alternativ zu Russisch als Hauptsprache des Studiums anzubieten. Die Einführung von Ukrainisch als Zweitsprache werde man durch Umschichtungen bei den Lehreinheiten abdecken können, so der Instituts­vorstand, der als Student selbst in Österreich und der Ukraine in Ukrainistik ausgebildet wurde.

Keine Russland-Zentren mehr

Radikalere Schritte wurden gesetzt, was das Russland-Zentrum der Universität anbelangte. Die Kooperation mit der Stiftung zur Förderung der russischen Kultur im Ausland Russkij Mir, die die Gründung der Russland-Zentren in Innsbruck (2011) und Salzburg (2015) ermöglichte, wurde infolge des russischen Angriffskriegs beendet.  Es sei zur Zeit der Gründung nicht abzuschätzen gewesen, wie katastrophal sich die russische Außenpolitik entwickeln würde, verteidigt Jakiša die damalige Entscheidung beider Universitäten. Das Innsbrucker Zentrum habe jedenfalls sofort nach Beginn des Krieges die Abkommen mit Russkij Mir aufgekündigt und sich in „Osteuropa-Zentrum“ umbenannt. Das Salzburger Zentrum sei gänzlich aufgelöst worden.

Zudem habe das Russland-Zentrum der Universität Innsbruck auch in Zeiten der För­derung durch Russkij Mir dezidiert demokratische gesellschaftliche Entwicklungen gefördert. „Es wurden kritische russischsprachige Kul­turschaffende eingeladen, nicht etwa russische Balalaika-Gruppen.“ Dies bestätigt auch Fuchsbauer, der die damalige Leiterin des Russland-Zentrums, Eva Binder, seit jeher als extrem Putin-kritisch und über jeden Zweifel erhaben kennt. Das Osteuropa-Zentrum, dem Binder inzwischen vorsteht, sei darüber hinaus ein unverzichtbarer Partner des Instituts bei vielen Aktivitäten wie etwa heuer dem ­OeAD-Sommerkolleg Ukraine und Europa.

„Wir können daher froh sein, wenn es solche Zentren in österreichischen Städten gibt“, sagt Jakiša. „Ich wünschte, die österreichische Politik handelte mit derselben Entschlossenheit, wenn es darum geht, Stellung gegen den Krieg zu beziehen und demokratische Kräfte in Russland zu fördern.“

Information

Die Slawistik befasst sich mit slawischen Sprachen wie Bosnisch/Kroatisch/Montenegrinisch/Serbisch (BKMS), Russisch, Ukrainisch, Tschechisch oder Polnisch sowie Literatur und Kultur.

Studieren kann man Slawistik in Wien, Graz, Salzburg, Klagenfurt und Innsbruck.

Das Osteuropa-Zentrum der Uni Innsbruck organisiert Crashkurse, (Ring-)Vorlesungen sowie ein Wahlpaket-Studium und unterstützt Schulen.

Infos: www.slawistik.at, slawistik,univie.ac.at, slawistik.uni-graz.at, www.uibk.ac.at/slawistik, www.plus.ac.at/slawistik, www.aau.at/slawistik, www.uibk.ac.at/osteuropazentrum

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