Der ökonomische Blick

Ein Jahr Bidenomics gibt Anlass zu Optimismus

Vor einem Jahr hat US-Präsident Joe Biden sein Inflationsreduktionsgesetz durch das Parlament gebracht.
Vor einem Jahr hat US-Präsident Joe Biden sein Inflationsreduktionsgesetz durch das Parlament gebracht.Imago/Pat A. Robinson
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Gemessen an den industriepolitischen Zielen kann man nach einem Jahr von einem sehr erfolgreichen Gesetz sprechen. Europa sucht noch eine Antwort auf diese neue Herausforderung.

Vor einem Jahr hat US-Präsident Joe Biden sein Inflationsreduktionsgesetz (Inflation Reduction Act, IRA) durch das Parlament gebracht. Es war eigentlich nicht zur Inflationsbekämpfung gedacht, zumindest nicht nur, sondern dazu, die Deindustrialisierung in den Vereinigten Staaten zu stoppen und dem verarbeitenden Gewerbe in zukunftsträchtigen Bereichen sogar einen Neustart zu ermöglichen. Gemessen an den industriepolitischen Zielen kann man nach einem Jahr von einem sehr erfolgreichen Gesetz sprechen. Das Ziel des Präsidenten war es, dem verarbeitenden Gewerbe ein Revival zu verschaffen. „Where in God’s name is it written that America can’t lead the world again in manufacturing?“, fragte Biden schon, als er den Plan vorstellte. Jobs im verarbeitenden Gewerbe bringen die Würde zurück in Regionen, in denen das Herz der US-amerikanischen Industrie schlug, argumentiert er. Gut bezahlte Arbeitsplätze, auch für weniger qualifizierte Arbeitnehmer, sind entstanden und weitere Projekte sind geplant.

Die staatlichen Subventionen sind hoch, aber die schon beschlossenen oder geplanten Investitionen privater Akteure, die damit initiiert wurden, machen den IRA erfolgreich. Mehrere Großprojekte wurden bereits vereinbart, andere werden folgen. Dabei gibt es im IRA eine starke Zukunftsorientierung. Projekte in der Chipproduktion, der klimaneutralen Energiegewinnung, der Speicherung elektrischer Energie, der Elektromobilität und ähnlichen Bereichen des verarbeitenden Gewerbes werden gefördert. Es sind die Bereiche, für die in der Zukunft eine große Nachfrage weltweit erwartet wird. Dementsprechend sind es auch die globalen Player, die besondere Aufmerksamkeit erhalten. Darin erschöpft sich der Akt aber nicht. Der Ausbau und die Erneuerung der Infrastruktur bilden einen zweiten Schwerpunkt der Bemühungen der Biden-Administration. 7,5 Mrd. Dollar sind beispielsweise dafür vorgesehen, eine halbe Million Ladestationen für elektrische Autos zu errichten, die als Netzwerk das ganze Land überspannen.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse“-Redaktion entsprechen.

Die Strategie ist nicht nur stimmig, das Gesetz ist auch so ausgestaltet, dass die Umsetzung schnell erfolgen konnte. Bei industriellen Projekten im Bereich der sauberen Energie war Europa lang der Vorreiter. Nach der Verabschiedung des IRA haben die USA diese Rolle übernommen. Das zugesagte Investitionsvolumen war in den USA in den letzten zwölf Monaten dreimal so hoch wie in Europa. Präsident Biden sprach bei einer Veranstaltung in Milwaukee am 15. 8. von 13,4 Millionen neuen Arbeitsplätzen im verarbeitenden Sektor in den Vereinigten Staaten durch Bidenomics. Die Hinwendung zum verarbeitenden Gewerbe ist eine Abkehr von der Wirtschaftspolitik, die die USA in den letzten Jahrzehnten prägte.

Europa sucht noch nach Antworten

Europa sucht noch eine Antwort auf diese neue Herausforderung. Der Übergang zu erneuerbarer Energie hat durch die hohen Energiepreise noch einmal eine zusätzliche Bedeutung bekommen. Es geht um die Sicherung leistbarer Energie und den Umstieg auf Erneuerbare. Preisanstiege könnten diesen Umstieg schon leiten, nur wäre die Gefahr einer größeren Deindustrialisierung sehr real, ließe man sie allein wirken. Dementsprechend laut sind die Rufe nach billigem Industriestrom. Im Gegensatz zu den USA steht man in Europa, besonders in Mitteleuropa, vor dem Problem, dass neben den neuen industriellen Herausforderungen die „alten“ Industrien nicht vergessen werden dürfen. Ein solider, bewährter und gut integrierter industrieller Kern ist in Mitteleuropa auch in der Globalisierungsphase in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren erhalten worden.

Der starke Anstieg der Energiepreise setzt diesen nun stark unter Druck. Neben einer Umstellung der Erzeugung von Energie auf erneuerbare Energieträger liegt in der Energieeinsparung ein großes Potenzial. Der Transformationsfördertopf, den das Klimaschutzministerium verwaltet, stellt Unternehmen insgesamt knapp drei Mrd. Euro zur Verfügung, um Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen zu unterstützen. Das klingt gut, die Beantragung ist aber nicht vollständig ausdefiniert. Das liegt auch an einer noch ausstehenden Klärung der Konformität mit EU-Richtlinien. Die daraus resultierende Unsicherheit verzögert sicher das eine oder andere Projekt. Eine Erklärung für den relativ größeren Erfolg der US-amerikanischen Industriepolitik gegenüber der europäischen ist, dass sie einfach und schnell in der Beantragung ist und eine sofortige Subventionierung beinhaltet.

Erste Erfolge in Europas Ansiedlungspolitik

Erfolglos war die EU-Industrie- und Ansiedlungspolitik aber keineswegs. Für die Mikrochips sind die Subventionsrichtlinien gelockert worden, die Ansiedlung großer Chipproduzenten ist zur Priorität erklärt worden. Auch mittels hoher Fördersummen konnten gleich zwei große Produzenten überzeugt werden, in Ostdeutschland große Chip-Fabriken zu errichten. Deutschland und die EU hoffen so, die große Abhängigkeit von den Importen aus Ostasien zu mildern, die in und nach der Pandemie sehr deutlich wurde. In einer Welt der zunehmenden Blockbildung ist das ein Element der De-risking-Strategie, die die EU verfolgt.

Nur allen Wünschen und Forderungen der Industrie kann die Politik nicht nachkommen. Die Ressourcen sind begrenzt, auch die der großen Wirtschaftsblöcke wie der EU oder der USA. In Deutschland gibt es derzeit Diskussionen um billigen Industriestrom. Wie weit erhält man „alte“ Strukturen, wie stark setzt man auf Neues? Das ist die dahinterstehende Frage. Fehlschläge in der Förderung wird es geben, doch in einer Welt mit offener Zukunft gilt das immer. Das erste Jahr Bidenomics gibt aber Anlass zu Optimismus bezüglich der neuen Industriepolitik.

Der Autor

Jörn Kleinert, geboren 1970 in Berlin, ist Volkswirt mit einer Spezialisierung auf die Internationale Ökonomik und nach Stationen in Kiel und Tübingen seit 2010 Professor an der Universität Graz.

Jörn Kleinert
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