Umweltwissenschaft

Warum Wildschweine noch radioaktiv bleiben

Archivbild eines Wildschweins.
Archivbild eines Wildschweins.Imago / Imagebroker/alimdi / Arterra / Sven Erik Arndt
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Das Cäsium aus Tschernobyl auf seiner Wanderung durch den Boden erreicht erst allmählich die Lieblingsnahrung der Wildschweine: Hirschtrüffeln. Noch dominiert Radioaktivität aus Atomtests.

Im Frühling 1986, nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, lernten viele Europäer, wie man Radioaktivität misst – und was deren Einheit ist: ein Becquerel (Bq), das entspricht einem radioaktiven Zerfall pro Sekunde. Spätestens im Herbst hatte sich auch herumgesprochen, dass unter den Lebensmitteln Pilze und Wildfleisch am meisten kontaminiert waren, vor allem mit dem Cäsium-Isotop 137Cs. Dieses hat eine Halbwertszeit von ca. 30 Jahren, schon deshalb sind die Werte seither gesunken. In Wild vor allem auch, weil das Cäsium aus der Nahrung (Gras, Blätter) der Tiere verschwunden ist.

Verhältnis zweier Cäsium-Isotope

Doch es gibt eine Ausnahme: Das Fleisch von Wildschweinen ist, mit starken Schwankungen, noch immer relativ stark radioaktiv belastet, manchmal über dem EU-Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm, mit Spitzenwerten in Bayern von bis zu 30.000 Bq/kg. Und die Werte bleiben über die Jahre nahezu konstant. „Die Wildschweine verletzen scheinbar das Gesetz des radioaktiven Zerfalls“, sagt Georg Steinhauser von der TU Wien zur „Presse“. Eine Studie seines Teams an Proben aus Bayern, soeben veröffentlicht in „Environmental Science & Technology“, soll dieses „Wildschwein-Paradoxon“ nun erklären. Sie beruht darauf, dass man am Verhältnis zweier Cäsium-Isotope (137Cs, 135Cs) ablesen kann, woher die Radioaktivität kommt, aus Tschernobyl oder von den Atomwaffenversuchen der 1950er- und 1960er-Jahre. Leicht ist das nicht: 135Cs ist nur schwach radioaktiv, man kann es nicht einfach mit Strahlenmessgeräten detektieren, nur mit Massenspektrometrie.

Überraschendes Ergebnis: Während für den Alpenraum der Beitrag von 137Cs aus den Atomtests auf nur zehn Prozent der Gesamtmenge geschätzt wird, beträgt er in Wildschweinen bis zu 68 Prozent. Schuld ist wohl ihr Fressverhalten. Sie wühlen tief im Boden, graben besonders gern Hirschtrüffeln aus. In diesen unterirdisch wachsenden Pilzen reichert sich das Cäsium erst mit beträchtlicher Zeitverzögerung an, denn es wandert sehr langsam durch den Boden nach unten, „manchmal nur rund einen Millimeter pro Jahr“, so Steinhauser: „Die Hirschtrüffeln in 20 bis 40 Zentimeter Tiefe nehmen damit erst heute das Cäsium auf, das in Tschernobyl freigesetzt wurde. Das Cäsium alter Atomtests hingegen ist dort schon lange angekommen.“

Keine Gefahr für Esser

Die Kombination aus diesen Wanderungen und dem radioaktiven Zerfall kann erklären, warum die Radioaktivität der Hirschtrüffel – und damit des Wildschweinfleisches – so lange Zeit ziemlich konstant bleibt. Konsumenten müssen sich davor freilich nicht fürchten: Der Grenzwert ist vorsichtig angesetzt, und Fleisch, das in den Handel kommt, wird auf dessen Einhaltung geprüft, in Bayern vom Verband der Jäger, bei uns von der Ages. „Ich esse selbst gern Wildschwein“, sagt Steinhauser.

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