Interview

„Wir müssen auch die Nachtseite der Forschung zeigen“

„Die Geschwindigkeit des Fortschritts überfordert die Gesellschaft“, sagt Helga Nowotny.
„Die Geschwindigkeit des Fortschritts überfordert die Gesellschaft“, sagt Helga Nowotny.(c) Elisabeth Mandl
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Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny über latenten Kontrollverlust und fehlende Orientierung in der Gesellschaft. Sie schlägt „Wissenschaftsläden“ für mehr Austausch vor.

Die Presse: Wissenschaft und Gesellschaft – warum ist das so eine schwierige Beziehung?

Helga Nowotny: Weil Wissenschaft die Welt erkunden will, die wir noch nicht kennen, und die Welt gestalten will in einer Weise, die uns erst langsam bewusst wird. Und die Gesellschaft fühlt sich gerade jetzt sehr oft überfordert durch die Geschwindigkeit des wissenschaftlich-technischen Fortschritts. Wir erleben zurzeit mit den Large Language Models (große, durch künstliche Intelligenz KI ermöglichte Sprachmodelle, Anm.) eine neue Epoche, denn sie werden unsere Welt entscheidend verändern und auch, wie Wissenschaft betrieben wird.

Der bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume hat beim Forum Alpbach von einer explodierenden Komplexität gesprochen. Ist diese überhaupt noch kommunizierbar?

Die Komplexität wächst, und wir müssen uns Strategien einfallen lassen, wie wir besser damit umgehen können. Komplexität ist schwer zu kommunizieren, weil es um nicht lineare Prozesse geht, weil komplexe Systeme Eigenschaften hervorbringen, von denen man vorher nicht gewusst hat, dass sie da sind. All das ist behaftet mit dem Kriterium der Unvorhersehbarkeit. Und darauf ist unsere Gesellschaft nicht eingestellt. Wir glauben immer noch, dass wir die Dinge unter Kontrolle haben, auch wenn die Pandemie uns – und den Regierungen – sehr klar gezeigt hat, dass es nicht so ist.

Was bedeutet das?

Es gibt eine latente Angst, die Kontrolle zu verlieren: gegenüber der KI, die uns quasi das Menschsein abspricht, aber auch in Bezug auf das, was ein Nationalstaat bewirken kann innerhalb des komplexen Gebildes der EU. Darüber hinaus in den geopolitischen Spannungen zwischen China und USA, oder hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Früher hat die Religion, dann die Wissenschaft Orientierung gegeben. Eine Orientierung zu geben für eine pluralistische Gesellschaft, ist heute ein Ding der Unmöglichkeit. Und was soll uns die Wissenschaft sagen? Etwas über den Beginn des Universums und wie viele tolle Dinge das James-Web-Teleskop entdecken kann – aber das ist noch kein Orientierungswissen.

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