Interview

Herzchirurgin Dilek Gürsoy: „Dauernd ,Rassismus!‘ zu schreien ist Gift“

Herzchirurgin Dilek Gürsoy: „Ich leugne nicht, dass es Rassismus gibt. Nur ich habe ihn nie erlebt.“
Herzchirurgin Dilek Gürsoy: „Ich leugne nicht, dass es Rassismus gibt. Nur ich habe ihn nie erlebt.“Florian Lechner
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„Du musst etwas Besseres werden als wir“, hörte Dilek Gürsoy von ihren türkischen Eltern sehr oft. Das „Gastarbeiterkind“ wurde eine gefeierte Herzchirurgin und implantierte als erste Ärztin in Europa einem Menschen ein Kunstherz. Wie es dazu kam und warum sie trotzdem nie Chefärztin wurde, erzählt sie in folgendem Gespräch.

Die Presse: Ende der 1960er-Jahre kamen Ihre Eltern von der Türkei nach Deutschland. Sie wurden dort 1976 geboren. Schon als Kind wussten Sie, dass Sie Ärztin werden wollen. War für Ihre Eltern auch klar, dass Sie studieren werden?

Dilek Gürsoy: Ja, wenn man Kind von Gastarbeitern ist, und darauf bin ich stolz, dann hört man von früh auf: „Du musst etwas Besseres werden als wir selbst.“ Meine Eltern waren beide Fabriksarbeiter. Meine Mutter war Analphabetin, sie durfte als älteste Tochter nicht die Schule besuchen, weil sie sich um ihre kranken Eltern kümmern musste. Mit 17 Jahren wurde sie verheiratet. Als sie nach Deutschland kam, hat sie sich auf eigene Faust Arbeit gesucht. Sie wollte unbedingt arbeiten, sonst hätte man sie zurück in die Türkei geschickt, damit sie auf die Kinder des Schwagers aufpasst. Ihr war es besonders wichtig, dass ich eine gute Ausbildung erhalte. Sie sagte immer zu mir: „Deine Brüder können auch am Bau arbeiten, aber du als Mädchen musst studieren.“ Ich verdanke ihr so viel.

Und Ihrem Vater?

Mein Vater starb, als ich zehn Jahre alt war, an plötzlichem Herztod. Ich mochte ihn sehr, ich war ein Papakind. Aber nach dem Tod meines Vaters habe ich erst bemerkt, wie stark meine Mutter ist. In der Nacht hat sie oft geweint, aber jeden Morgen ist sie voll Elan aufgestanden und mit Freude zur Arbeit gegangen. „Denn damit kann ich euch ernähren und dafür sorgen, dass ihr zur Schule geht“, sagte sie. 47 Jahre lang ist sie am Fließband gestanden.

Hat es noch andere Menschen gegeben, die Sie unterstützt haben?

Ja, im Kindergarten gab es einen Erzieher, Herrn Bisping. Er war ein pensionierter Gymnasiallehrer aus der Nachkriegszeit und sehr streng. Er sah, dass ich ein aufgewecktes Kind war, und förderte mich auch noch während meiner Schulzeit extrem. Als mir die Lehrerin in der Grundschule nur die Freigabe für die Realschule geben wollte, trat Herr Bisping auf den Plan und sorgte dafür, dass ich das Gymnasium besuchen kann. Auch viele andere Menschen haben uns geholfen, meine Mutter erzählt heute noch von ihnen. Darum will ich diesem Land, das mir soviel ermöglicht hat, etwas zurückgeben.

Diskriminierung aufgrund Ihrer Herkunft haben Sie nie erlebt?

Nein, auch wenn das viele gern hören würden. Aber so war es nun einmal nicht. Man muss bei der Wahrheit bleiben. Die jüngere Generation macht es sich viel zu leicht, wenn sie dauernd „Rassismus!“ schreit. „Das ist Gift. Tut das nicht“, sage ich immer meinen Mentees. „Vielleicht hast du den Job nicht bekommen, weil ein anderer Bewerber besser war als du, und nicht, weil du ein Kopftuch trägst. Aber das passiert Deutschen genauso.“ Ich leugne nicht, dass es Rassismus gibt, nur ich selbst habe ihn nicht erlebt. Gerade in meinem Fach, der Herzchirurgie, gibt es viele Chefärzte, die nicht in Deutschland geboren sind, sondern aus Italien, der Türkei oder dem Iran kommen. Ich bin überzeugt: Wenn du gut bist, wirst du dich durchsetzen. Der Weg zum Ziel kann lang sein, das gehört dazu.

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