US-Ökonom: "Banken und Politik tragen Schuld"

Jeffrey D. Sachs:
Jeffrey D. Sachs: "Banken und Politik tragen Schuld"(c) Reuters
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Der US-Ökonom Jeffrey D. Sachs über die neue Armut, die mangelnde Weitsicht von Politikern und seine Enttäuschung über Barack Obama.

Die Presse: Sie haben das Buch „Das Ende der Armut“ geschrieben. Sehen Sie aufgrund der aktuellen Krise in Europa und den USA die Gefahr einer neuen Armut?

Jeffrey D. Sachs: Die positive Nachricht der vergangenen Jahre war, dass die extreme Armut, die ich in diesem Buch angesprochen habe, reduziert wurde. Sie hat sich von 44 Prozent der Bevölkerung in den Entwicklungsländern auf 20 Prozent reduziert. In unseren Ländern erleben wir nun eine neue Armut, die zwar für diese Menschen nicht existenzbedrohend ist, die ihr tägliches Leben aber erschwert, die ihre Würde zerstört. Das nimmt zu. Dazu kommen zwei Faktoren, die eine neue Gefahr auch für die extreme Armut darstellen: Klimawandel mit all seinen Kapriolen wie Fluten und Trockenheit. Und die demografische Entwicklung.

Die USA und die EU haben versucht, die aktuelle Krise mit unterschiedlichen Mitteln zu bekämpfen. Die USA mit einer extensiven Geldpolitik und Wachstumsinitiativen, Europa mit einer Kombination aus Sparprogrammen und geringeren Wachstumsinitiativen. Was ist aus Ihrer Sicht der bessere Weg?

Diese Unterschiede sind nicht so groß. Es gibt aber große Unterschiede in den beiden Finanzsystemen: Die USA haben hier ihre Probleme in den Griff bekommen, Europa noch nicht. Die EU leidet unter den ungelösten Bankenkrisen in Ländern wie Spanien, Italien, Griechenland oder Zypern. Die Debatte über die Budget- und Geldpolitik ist eigentlich viel weniger von Bedeutung als diese Realitäten. Die USA haben eine gemeinsame Bankenautorität, die EU hat das nicht. Die USA profitieren sehr davon, dass sie ein vereinigtes Finanzsystem haben. Die EU leidet darunter, dass sie das nicht hat. Die ganze Debatte über Budget-, Geldpolitik, über Keynesianismus konzentriert sich auf das Falsche. Paul Krugman hat mit seinen Beiträgen hier dieDiskussion allzu sehr dominiert(Krugman kritisierte u.a. die deutsche Austeritätspolitik, Anm.). Er hat die Diskussion simplifiziert und langfristige Probleme ausgeklammert.

In Alpbach haben selbst liberale Wissenschaftler wie Jan Zielonka aus Polen oder Reuben Wong aus Singapur von einer Fehlentwicklung im Kapitalismus gesprochen. Worin liegt die Alternative?

Erstens: Veränderungen im Wirtschaftssystem wird es immer geben. Auch diesmal. Der zweite Aspekt ist das Finanzsystem. Banken haben eine zu große Bedeutung gewonnen. Die Bankenlobby ist äußerst mächtig, und sie hat die Regierungen dazu gezwungen, ihnen immer neuen Freiraum zu schaffen. Sie nutzten diesen Freiraum, um zu spekulieren. Ich mache den Banksektor hauptverantwortlich für die heutige Situation. Aber auch die Politik trägt ihre Schuld. Heute blockieren die Banken die notwendigen Reformen. Der dritte Aspekt ist: Wenn eine solche Krise entstanden ist, braucht es einen Sinneswandel. Den gibt es aber in den Ländern mit hohem Wohlstand nicht. Es ist naiv, jetzt nach keynesianischen Modellen zu verlangen und rein auf den Konsum zu setzen. Es geht aber auch nicht darum, ob deutsche Steuerzahler für die Lösung dieser Krise zahlen. Es geht um die Entwicklung neuer Szenarien, um Wachstum zu schaffen.

Sie treten für ein nachhaltiges, ein grünes Wachstum ein. Ich frage mich, ob das in Zeiten einer so schweren Krise überhaupt realistisch ist?

Es ist mir immer darum gegangen, auf langfristige Ziele zu setzen. Das mag naiv sein. Aber wenn wir nicht die richtigen langfristigen Ziele verfolgen, fliegen uns auch unsere kurzfristigen Ziele um die Ohren. Eine der größten Schwächen unseres wirtschaftlichen und politischen Systems ist das Fehlen einer nachhaltigen Strategie. Es geht um Klimawandel, um den demografischen Wandel, um unsere Bildungs- und Gesundheitssysteme, die wir im Auge haben müssen. 2009 wurde ich in den USA von der politischen Führung gefragt, was das Land braucht. Ich habe gesagt, dass wir eine Zehnjahresstrategie für einen wirtschaftlichen Wiederaufbau benötigen. Die haben mir gesagt, dass 2010 Midterm Elections stattfinden und dass sie eine rasche Stimulierung brauchen. Ich habe Präsident Obama davor gewarnt, dass damit unsere Probleme nicht gelöst werden, dass die Kluft in der Gesellschaft größer werden wird. Wir sind seit Jahrzehnten in einem bewahrenden Modus, der uns in diese Krise geführt hat. Auch Obama hat diesen „Change“ nicht geschafft, sondern letztlich auf Kontinuität gesetzt.

Können Sie das präzisieren?

Der Einfluss von Ölfirmen, der Wall Street ist groß.

„Change“ ist weltweit ausgeblieben.

Es gibt die Möglichkeit, dass eine Verschärfung der Krise letztlich zu einem Umdenken führt. Aber dafür gibt es keine Garantie. Krisen können auch zu immer neuen Krisen, letztlich zum Desaster führen. Europa hat das im vergangenen Jahrhundert mit der Weimarer Republik, mit Hitler miterlebt.

Zur Person

Jeffrey D. Sachs ist einer der bekanntesten US-Ökonomen. Er ist UN-Sonderberater für die Millenniumsziele, berät aber auch IWF, WTO und die Weltbank. Sachs leitet das Earth Institute der Columbia University. Er nahm diese Woche am Alpbach-Forum teil.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2013)

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