Biennale: Kammerspiel in den Weiten des Alls

Sandra Bullock und George Clooney in „Gravity“: zwei Menschen in 3-D, von denen am Ende einer übrig bleiben soll. Interessant verfremdet inszeniert von Regisseur Cuarón.
Sandra Bullock und George Clooney in „Gravity“: zwei Menschen in 3-D, von denen am Ende einer übrig bleiben soll. Interessant verfremdet inszeniert von Regisseur Cuarón.(c) Warner Bros.
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George Clooney und Sandra Bullock eröffneten das 70. Festival in Venedig: „Gravity“ von Alfonso Cuarón ist ein Kammerspiel mit Thrill über zwei Astronauten, von denen einer im All zurückbleibt.

Auf dem Linienboot vom Bahnhof Venedig zum Lido herrscht Entzücken. Vor Kurzem ist eine Dame mit einem schwarzen Welpen zugestiegen, der gewitzt die Ohren spitzt. Einheimische wie Touristen strecken dem Tier die Hände entgegen, auf dass es sie beschnuppere. Ein Herr jenseits der Fünfzig bringt sein Gesicht nah vor dem Hündchen in Stellung, woraufhin pflichtschuldigst die Nase abgeschleckt wird. Begeisterung allerseits!
Währenddessen passiert das Boot die wunderbarsten Sehenswürdigkeiten der Lagunenstadt, viele Jahrhunderte alt und bezaubernd schön, aber die Fahrgäste haben nur Augen für den Welpen. Hochzufrieden verlassen alle am Lido das Boot der Linea Uno.



Und hier soll George Clooney für Aufsehen sorgen? Zumal er das am Lido beheimatete Filmfestival Venedig nahezu in jedem Jahr mit seiner Anwesenheit beehrt! Was mögen die Einheimischen davon halten? Ach, dieser Clooney ist ja schon wieder da. Gähn. Dieses Mal gehen wir nicht Stars schauen – und außerdem wissen wir schon, dass der Mann maximal 1,72 Meter misst.

Das fällt freilich nicht auf, wenn man im Kino sitzt. Und in „Gravity“, dem neuen Film von Alfonso Cuarón („Y tu mama, tambien“), ist Clooney zudem gut eingepackt in einen Weltraumanzug, denn er spielt hier einen Astronauten. Das macht er meist mit Helm, weswegen sein berühmtes Gesicht nicht so ganz zur Geltung kommen kann. Außerdem steigt Clooney als Kosmonaut Kowalsky schon nach etwa 45 Minuten aus dem Film aus, weil er sich für seine Kollegin Dr. Stone opfert.

Eine Weltraummission läuft schief

Aber war das wirklich nötig? Schließlich wird diese Frau von Sandra Bullock verkörpert, also von der ebenso patenten wie unverwüstlichen – pardon – Rampensau des Hollywood-Kinos. Auch wenn „Gravity“ ein Thriller ist, in dem eine Weltraummission katastrophal schiefläuft, weiß man Sandra Bullocks wegen doch, wie es ausgehen wird. So eine Frau muss nicht gerettet werden. Sie haut sich natürlich selbst raus.

Doch das ist erstens gar nicht so einfach, und zweitens muss sich die Schauspielerin dabei auch noch im Charakterfach bewähren. Denn Dr. Stone hat ihre kleine Tochter beerdigen müssen: in der Schule gestürzt, Kopfverletzung, tot. Und da die Begegnung mit dem All zwangsläufig bei jedem Ewigkeitsfragen berührt, kehrt das Scheitern der Raumfahrtmission die Krise von Dr. Stone nur mehr nach außen. Das All ist nämlich nicht leer; herumsausender Weltraummüll gefährdet Himmelsfähren wie Menschenleben. So verlieren Kowalsky und Stone den Kontakt zum Mutterschiff und bald auch zur Bodenstation in Houston. Aber Stone ist als eine Figur angelegt, die sich zurück ins Leben kämpfen muss – gegen Müll- und Meteoritenschläge, gegen Feuer an Bord, verwaist im Kosmos dahintreibender Raumschiffe, vor allem aber gegen ihre übermächtige Trauer und Lebensmüdigkeit.

Diese Müdigkeit fasst der mexikanische Regisseur Cuarón nun auf interessant verfremdende Art ganz physisch in Bilder: Das Fehlen der Schwerkraft im All, die Schwierigkeit, hier Bewegungen zu koordinieren, korreliert mit Stones psychischem Verlust an Bindung und Bodenhaftung. Immer wieder prallt sie hart auf Metallteile.
Körper, Gegenstände, die ziellos im Raum driften, als Zeugen ihrer einstigen Sinnhaftigkeit – das ist die visuelle, universale Essenz des Films. Zwei Menschen in 3-D, von denen einer am Ende übrig bleiben soll, das Kammerspiel mit Thrill ist seine erzählerische Gestalt. Und man ist doch gebannt, auch wenn Sandra Bullock ein paar Mal zu viel keucht, um Stones Lebensanstrengung erfahrbar zu machen. Astronaut zu sein ist eben ein harter Job. Die Welt weiß es spätestens seit David Bowies Song über Major Tom: diese monströse Einsamkeit im All. Und der kosmische Tod, der nicht mal einen Punkt in der Ferne von einem übrig lässt. „Gravity“ trägt all das in sich und erfüllt dabei noch seine Aufgabe als Eröffnungsfilm dieses Jubiläumsfestivals von Venedig: mit ein paar Rampensäuen, auch Weltstars genannt, aufzuwarten. Von hier aus geht es weiter.

Das 70. Filmfestival in Venedig

Seit 28. August und noch bis 7. September läuft das Filmfestival in Venedig – das älteste Filmfestival der Welt. Zwanzig Filme, u. a. von Stephen Frears, Hayao Miyazaki und „Monty Python“-Gründer Terry Gilliam, konkurrieren im Wettbewerb um den Hauptpreis – den Goldenen Löwen. Ein österreichischer Film ist nicht dabei, dafür aber Oscar-Preisträger Christoph Waltz (in Gilliams „The Zero Theorem“).
Präsident der neunköpfigen Jury ist der italienische Regisseur Bernardo Bertolucci („Der letzte Tango in Paris“).
www.labiennale.org/en/cinema

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2013)

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