Philosophie

„Tractatus“-Siegerin Isolde Charim: „Für so ein Buch gewinne ich einen Preis: Das ist absurd“

Die Wiener Philosophin Isolde Charim hat den Narzissmus als Prinzip unserer Gesellschaft ausgemacht.
Die Wiener Philosophin Isolde Charim hat den Narzissmus als Prinzip unserer Gesellschaft ausgemacht.Daniel Novotny
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Isolde Charim hat für „Die Qualen des Narzissmus“ den Tractatus-Essaypreis erhalten. Über die Herrschaft des Ich-Ideals, grausame Notensysteme und die perfide Verheißung hinter Lob und Erfolg.

Die Presse: Blicken wir am Anfang zurück: Die 68er-Generation kämpfte gegen Autoritäten, gegen eine rigide Moral. Heute leben wir in einer individualistischen Gesellschaft mit viel mehr persönlichen Freiheiten. Aber viele fühlen sich neuen Zwängen ausgesetzt. Warum?

Isolde Charim: Wir haben uns eine andere Herrschaft eingehandelt. Ich erkläre sie mit Freuds Instanzen des psychischen Apparats, die mit der Gesellschaft verbunden sind: Früher regierte das Über-Ich, das durch ein moralisches Gesetz vorgibt, was Gut und Böse ist, was erlaubt ist und verboten, das die Einhaltung der Regeln kontrolliert und Übertretungen ahndet – auch durch das eigene schlechte Gewissen. Die neue Autorität ist ganz anders, aber um nichts weniger unnachgiebig: das Ich-Ideal, das als absoluter Zwang vor einem steht. Es ist immer mehr, als du bist, und verlangt dir ab, besser zu werden. Damit wird das Ich in eine ständige Unzulänglichkeit verwiesen.

Dass man danach strebt, so zu werden, wie man gerne sein möchte – das gab es doch immer, oder? 

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