USA

Drakonische Strafen für „Proud Boys“ nach Sturm aufs Kapitol

Enrique Tarrio war am 6. Jänner 2021 zwar nicht in D. C., doch sein Einfluss machte ihn zum Anführer eines wütenden Mobs.
Enrique Tarrio war am 6. Jänner 2021 zwar nicht in D. C., doch sein Einfluss machte ihn zum Anführer eines wütenden Mobs.Imago
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Mehr als 1100 Personen wurden schon verurteilt. 22 Jahre muss nun der Ex-Chef der „Proud Boys“ in Haft.

New York/Washington, D. C. Er sei „der ultimative Anführer“ gewesen, sagte der Richter am Montag zu jenem Mann, den man üblicherweise mit verspiegelter Sonnenbrille vor den Augen, Zigarette im Mund und Alkopop in der Kampfweste zu Gesicht bekommen hatte. Henry „Enrique“ Tarrio, 39 Jahre alt, Chef der „Proud Boys“, der „stolzen Jungs“, inszenierte sich immer schon gerne als Obermacho. Doch am Montag stand er vor dem Richter und weinte. „Bitte erweisen Sie mir Gnade“, sagte er mit brüchiger Stimme. „Ich flehe Sie an, nehmen Sie mir die “

22 Jahre muss Tarrio nun ins Gefängnis. Der Richter befand ihn schuldig, eine staatsgefährdende Verschwörung angeführt zu haben.

Tarrio, ein Mann aus Florida mit einer langen Liste kleinkrimineller Delikte, ist einer jener Männer, die den Sturm aufs Kapitol am 6. Jänner 2021 organisiert haben. Der 6. Jänner war der Tag, an dem der US-Kongress den Wahlsieg des Demokraten Joe Biden bestätigten hätte sollen – zum Missfallen des noch amtierenden Präsidenten, Donald Trump. Zu dessen Auftritt vor dem Weißen Haus kamen zahlreiche Unterstützer, die dann weiter Richtung Kapitol zogen. Und das Gebäude schließlich stürmten. Die Abgeordneten verschanzten sich in ihren Büros, während Menschen mit Trump-Fahnen die Hallen plünderten. Der damalige Vizepräsident, Mike Pence, fürchtete um sein Leben. Er bestätigte schließlich doch Joe Bidens Wahlsieg.

„Wehe, ihr macht kehrt“

Trump muss sich für seine Rolle im Sturm aufs Kapitol demnächst selbst in zwei Gerichtsprozessen verantworten. Fest steht schon jetzt, dass der damalige Präsident sich am 6. Jänner auf die rechtsextreme Truppe von Tarrio und Konsorten verlassen konnte. Viel musste er also nicht tun – die von „Revolutionsgeist beflügelten Angreifer“, O-Ton des Richters, waren vorbereitet. Mehr als 1100 Menschen wurde bislang für ihre Handlungen rund um den 6. Jänner verurteilt.

Tarrio hat die bislang längste Haftstrafe ausgefasst – 22 Jahre. Dabei war er am 6. Jänner gar nicht einmal in Washington. Er war zwei Tage zuvor festgenommen worden, weil er eine „Black Lives Matter“-Fahne verbrannt hatte, die an einer Kirche angebracht gewesen war. Die Behörden verbannten ihn daraufhin aus der Hauptstadt.

Doch Tarrio, damals noch der Anführer der heute zersplitterten rechtsextremen „Proud Boys“, musste gar nicht vor Ort sein, um seinen Einfluss ausüben zu können. „Don‘t fucking leave“, schrieb er per SMS an seine Kameraden, die gerade das Kapitol stürmten: „Wehe, ihr macht kehrt“.

Nach dem Sturm aufs Kapitol hatte Tarrio gern betont, dass er keine Rolle bei dem Angriff gespielt habe: Er sei ja nicht einmal dort gewesen, sagte er. Am Montag reichten dem Richter Beispiele wie das SMS, um die ortsunabhängige Schlagkraft des „Proud Boys“ darzustellen.

„Trump hat gewonnen!“

Tarrios Prozess ist einer von fünf zum 6. Jänner, die sich über den Sommer hin gezogen hatten. Mit Tarrio waren auch vier andere „Proud Boys“ angeklagt, auch sie wurden allesamt saftig bestraft: Ethan Nordean, der anstelle Tarrios die Gruppe in Washington angeführt hatte, muss für 18 Jahre hinter Gitter. Für Nordeans Helfer Joseph Biggs gab es 17, für Zachary Rehl 15, für Dominic Pezzola zehn Jahre Gefängnis. (Pezzola war es, der ein Fenster am Kapitol eingeschlagen hatte – das ermöglichte den ersten Angreifern, ins Gebäude zu kommen. Der Richter nannte ihn „im wahrsten Sinne die Speerspitze“ des Protests). In einem anderen Prozess wurde der Gründer der „Oath Keepers“, Stewart Rhodes, zuletzt zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt.

Der zuständige Richter sprach in seinem Urteil von terroristischer Absicht Tarrios: Auch dies war schon in Prozessen zuvor geschehen, als eine Art Mahnmal, da das Strafmaß verhältnismäßig kurz ausfiel. Die Arbeit der Behörden zu den Vorgängen rund um den 6. Jänner 2021 gilt mittlerweile als die größte Ermittlung der US-Geschichte. Die Rolle des Wahlverlierers, Trump, wurde von vielen der Angeklagten in ihren Prozessen hervorgehoben: Sie seien für ihn nach Washington gekommen. Ihre Reuegrade variieren. Tarrio gab eine lange Entschuldigung an die Beamten ab, die am 6. Jänner das Kapitol geschützt hatten. Sein Mitangeklagter Pezzola nannte sich selbst vor Gericht einen „neuen Mann“; nach dem Schuldspruch reckte er seine Faust in die Luft und rief: „Trump hat gewonnen!“

Der Rädelsführer Biggs – auch er hatte bei seiner der Verlesung seines Strafmaßes geweint – rief zuletzt zu einer Mahnwache vor seinem Gefängnis in Washington auf, wo mehrere Angreifer vom 6. Jänner festgehalten werden. Biggs rief seine Unterstützer dazu auf, „aufzustehen und zu kämpfen – gebt nicht auf.“ Er hofft auf eine Begnadigung, sollte Trump wieder Präsident werden.

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