Das Talent der Grünen, sich selbst im Weg zu stehen

Eva Glawischnig als legitime Nachfolgerin Jörg Haiders – was das Herzeigen eines Taferls betrifft. Und Maria Vassilakou konterkariert die Wahlkampflinie.

Eva Glawischnig war eine von 48.500, die am Dienstagabend im Wiener Ernst-Happel-Stadion 22 Männern beim Versuch, einen Ball einzunetzen oder genau dieses zu verhindern, zugesehen haben. Zum Toreschießen hat die Bundessprecherin der Grünen spätestens seit ihrem TV-Match gegen Werner Faymann eine hohe Affinität. 24Stunden vor ihrem Ausflug in die Zuschauerränge ist ihr auf dem politischen Spielfeld ein überraschendes Tor gelungen. Überraschend selbst für Grün-Mitarbeiter. So viel Unverfrorenheit hätte man der SPÖ doch nicht zugetraut, sich alle Großplakate rechtswidrig vom Parlamentsklub sponsern zu lassen.

Die SPÖ ist seither in der Defensive, die Grünen dürfen nicht ohne Grund jubeln. Zweieinhalb Wochen vor der Wahl den politischen Konkurrenten zum Handeln und zu einem unausgesprochenen Schuldeingeständnis zu zwingen, das schaffen auch größere Parteien nicht alle Tage. Und dann noch dazu in einem zentralen, diesmal wahrscheinlich dem zentralen Thema der grünen Wahlwerbung zu reüssieren, dem Kampf für Transparenz der Parteifinanzen und gegen Korruption. Frappierend genug: Eva Glawischnig darf mit ihrem Taferl in den Schlussminuten der ORF-Konfrontation ab sofort als die legitime Erbin Jörg Haiders gesehen werden. Dieser hat als FPÖ-Chef 1994 im legendären Aufeinandertreffen mit Bundeskanzler Franz Vranitzky das Taferl erfunden.

Werner Faymann also unversehens in Bedrängnis gebracht, die SPÖ zu einem Rückzieher provoziert – das ist genau jener Stoff, an dem sich bürgerliches Publikum ergötzt. Bürgerliches Publikum, das gerade in Wien angesichts der Alternativen gern auch einmal Grün ankreuzt. In Wien, wo nicht selten Bundeswahlen entschieden werden, sieht die (grüne) Welt aber anders aus. Da fühlen sich die mit der SPÖ im Rathaus regierenden Grünen bemüßigt, die Linie der Bundespartei zu konterkarieren.

Da kämpft die Stadtpartei weniger gegen Korruption als gegen Autofahrer. Maria Vassilakou hat es sich rund um die Neugestaltung der Mariahilfer Straße mit weiten Teilen der SPÖ, vielen Bewohnern von Mariahilf, Neubau und angrenzenden, durchaus grünaffinen Bezirken innerhalb des Gürtels gründlich verscherzt. Auch in diesem Fall steht die SPÖ „belämmert“ (©Grüne) da – aber, was eigentlich mehr interessiert, genau so stehen Anrainer und Autofahrer, die unvorsichtig genug sind, der Mariahilfer Straße nahezukommen, da. Ein klassisches grünes Eigentor, ein derart polarisierendes Thema derart polarisierend vor einer Wahl anzupacken.

Unverblümt wird von Grünen in den Social Media der Freude Ausdruck verliehen, dass Autofahrer nun noch mehr im Stau stecken. Wenn die grüne Gemeinderätin Susanne Jerusalem nicht völlig missverstanden wurde, dann verlangt sie, dass Autofahrer durch komplizierte Einbahnregelungen in engen staugefährdeten Gassen davon abgehalten werden sollen, überhaupt loszufahren.

Da ist es wieder: das andere, weniger sympathische grüne Antlitz der Partei. Wenn die Wiener ÖVP nur ein Minimum an Überlebenswille (von Siegeswille im Zusammenhang mit der Partei können nur Kabarettisten sprechen) zu eigen wäre, müsste sie seit Wochen gegen die aberwitzige Vorgangsweise plakatieren und agitieren, als ob's kein Morgen gäbe.

Währenddessen rechnen sich die Parlaments-Grünen in ihren Tagträumen Chancen aus, die FPÖ bei der Nationalratswahl, gemessen an der Stimmenzahl, zu überholen und erstmals auf Platz drei zu kommen. Das Kalkül, dieses Motto auch öffentlich auszugeben, ist für Menschen, die außerhalb grüner Parteizirkel leben, schwer bis gar nicht nachzuvollziehen. Denn der verblasste Charme von Rot-Grün in Wien wird dem wohl einen finalen Strich durch die ohnedies kaum realistische Rechnung machen.

Selbst wenn die bunte Truppe rund um Eva Glawischnig am 29.September das beste grüne Ergebnis bei einer Nationalratswahl aller Zeiten einfahren wird – was einigermaßen gefahrlos prognostiziert werden kann –, wird sie sich dennoch die Frage nach dem Verpassen des Ziels, Nummer drei zu werden, stellen lassen müssen. Journalisten neigen eben dazu, ungerecht zu sein.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2013)

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