Im Trockendock: Spielend lernen

Wo Emotionen im Spiel sind, ist der Lerneffekt enorm. Daher sind wirtschaftliche und organisatorische Zusammenhänge auf dem Spielbrett und in Onlinesimulationen einfach zu verstehen.

Auf einen Blick

Auf dem Spielbrett reihen sich die Spielfiguren, Chips symbolisieren Arbeits- und Projekttage, die die Mitspieler einsetzen, Karteikarten warten mit kniffligen Aufgaben auf. „Milestone Play“ wirkt auf den ersten Blick wie eine komplexe Version von „Activity“ und „Mensch ärgere Dich nicht“: Spieler würfeln, beantworten Fragen, erklären Begriffe oder stellen diese flipcharttauglich dar.

Tatsächlich handelt es sich um ein Projektmanagement-Spiel mit einem klaren Ziel: Projektmanagement-Wissen zu verbessern, zu automatisieren und auf die Zertifizierung vorzubereiten. „Projektmanager treffen sich selten, selbst wenn sie im selben Unternehmen arbeiten“, sagt Thomas Waldorf, Chef der Berater- und Projektmanager-Gruppe Milestone und Miterfinder des Spiels. Vier Jahre trug er die Idee mit sich herum, neun Monate dauerte die Entwicklung.

Waldorf wollte mit dem Spiel eine Basis für Experten schaffen, sich über Projektthemen auszutauschen: in spielerischer Situation werden Begriffe und Zugänge untereinander abgeglichen. Das alles im geschützten Raum: Es kann zwar am Ende nur einer gewinnen, trotzdem riskiert kein Mitspieler sein Gesicht.

Lachen und sich ärgern

„Wenn Emotionen im Spiel sind, merkt man sich Dinge einfacher“, sagt Waldorf. „In Erinnerung bleibt, worüber ich mich gefreut und worüber ich mich geärgert hat.“ Ein Spiel, das bewegt, liefere solche Momente und erzeuge intrinsische Motivation: „Die Leute sollen sich freiwillig über ein Fachthema austauschen – ohne einen Trainer zu benötigen.“

Folglich versteht Waldorf sein „Milestone Play“ als Gesellschaftsspiel. Weil die Spieler um einen Tisch sitzen, Beziehungen aufbauen und nicht wie bei Simulationen eine Situation planhaft abarbeiten.

Die Idee der Managementspiele ist nicht neu. Genau genommen beginnt ihre Geschichte vor 5000 Jahren mit Vorläufern des Schachspiels. Später, ab dem 17. Jahrhundert, waren Kriegsspiele Teil der Offiziersausbildung. Das Militär blieb die treibende Kraft: Das erste Planspiel der Moderne, „Monopologs“, wurde in den 1950er-Jahren für die US Air Force entwickelt und beschäftigte sich mit betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Fragen rund um den Nachschub der US-Luftwaffe. 1956 veröffentlichte die American Management Association ein computergestütztes Planspiel und machte Lernspiele populär.

Marion S. Rauner, Professorin für Innovations- und Technologiemanagement an der Universität Wien, hat sich nicht nur wissenschaftlich mit dem Thema auseinandergesetzt, sondern auch einige Planspiele mitentwickelt, etwa das internetbasierte „Management von Großschadensereignissen und bestmögliche Erstversorgung von Patienten – SanHiSt“. Darin müssen Spieler in vorgegebenen Szenarien – vom Eintreffen der ersten Einsatzkräfte bis zum Abtransport des letzten Patienten – durch gute Entscheidungen versuchen, die Anzahl der Todesopfer zu minimieren.

Weil Managementspiele eben nicht im Verdacht stehen, kindisch zu sein, haben Führungskräfte auch keine Scheu, sich darauf einzulassen. „Menschen kommunizieren gerne“, sagt Rauner, „genauso lieben sie den Wettkampf.“ Zudem würden Spiele als ein geschützter Raum empfunden, in dem „nichts passieren kann. Spiele werden als Trockendock erlebt, um Fehler in der Realität eben nicht zu begehen.“

Üben für den Ernstfall


Aus Fehlern zu lernen, lehrt auch „Hier bricht gleich die Hölle los“: Mit diesem Planspiel simuliert die Kommunikationsagentur Ketchum Publico einen Shitstorm. Damit wird trainiert, was passiert und was zu tun ist, wenn im Internet ein Sturm der Entrüstung aufzieht und sich gegen ein Unternehmen richtet.

Obwohl Spiele eine ganz besondere Form des Lernens sind, setzen nur 44 Prozent der Unternehmen Planspiele in der Weiterbildung ein, erhob Christoph Blaha vom Controller-Institut. „Der Fokus wird auf die Vermittlung von Zusammenhängen, bereichsübergreifendes und ganzheitliches Denken gelegt“, sagt Blaha. 

85 Prozent dieser Unternehmen simulieren mit Planspielen wirtschaftliche Zusammenhänge, 55 Prozent trainieren strategisches Denken, vier von zehn Führung und Teamprozesse. In den Unternehmen zählen vor allem die Führungskräfte und Nachwuchshoffnungen zur Zielgruppe, was die Spielautoren fordert: Denn je höher in der Hierarchie, desto größer ist die grundsätzliche Angst vor dem Verlieren, aber auch davor, peinliche Fehler zu begehen.

Brettspiele sind transparenter

Im Moment sind Brettspiele beliebter als computerbasierte Simulationen und Planspiele. Allerdings gibt es bei den virtuellen Anwendungen die größeren Zuwächse. Blaha nennt Vor- und Nachteil des Einsatzes von Computern: „Viele Autoren bieten Lösungen für Smartphones und Tablets an, ermöglichen ortsunabhängiges Spielen und die Einbettung in ein länger dauerndes Curriculum.“ Allerdings sei die Computersimulation immer auch eine Art „Blackbox“ und könne daher nie so transparent wie ein Brettspiel sein. Außerdem sei es beim Brettspiel einfacher, gruppendynamische Prozesse zu thematisieren.

Managerspiele. Wo Emotionen im Spiel sind, steigen die Lerneffekte. Auf diesem Prinzip basieren sowohl Gesellschaftsspiele als auch Planspiele und Simulationen. Während Gesellschaftsspiele wie „Milestone Play“ selbsterklärend sind, benötigen Planspiele und Simulation meist die Begleitung durch Trainer. Sie sind in der Regel als Lehr-Lern-Methode konzipiert und beinhalten auch theoretische Inputs. Was den Lernspielen für Führungskräfte gemeinsam ist: Sie trainieren marktorientiertes Denken, richtiges Interpretieren von Marktsituationen und den ganzheitlichen Zugang.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2013)

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