Berlusconi wollte der Großen Koalition den Todesstoß verleihen – aber viele seiner Anhänger machen offenbar nicht mit. Überlebt Letta nun doch die Krise? Vier Szenarien, wie es in Rom weitergehen könnte.
Rom/Wien. „Betet für Italien.“ Mit dieser Bitte beendete Enrico Letta einen Vortrag bei einem katholischen Treffen in Rom. Und dem Premier war dabei nicht nur zum Scherzen zumute: Seine Große Koalition steht seit der Ankündigung Silvio Berlusconis, fünf Minister aus der Regierung zu entfernen, nach nur 154 Tagen vor dem Aus – und Italien wieder einmal vor einer lähmenden Krise. Schmerzhafte Nebenwirkungen bekam das verschuldete Euroland bereits am Montag an den Börsen zu spüren (siehe S. 19). In ganz Europa blickt man nervös nach Rom und befürchtet Konsequenzen für den Euro, der sich gestern wieder auf Talfahrt befand. Wie geht es weiter in Italien? Hier vier Szenarien:
1 Premier Letta formt mit den „Verrätern“ eine neue Regierung.
Am Mittwoch will Letta im Parlament die Vertrauensfrage stellen. In der Abgeordnetenkammer haben seine Linksdemokraten eine satte Mehrheit – nicht aber im Senat: So laufen hinter den Kulissen Verhandlungen mit Berlusconi-Senatoren , die mit der radikalen Linie des wegen Steuerbetrugs verurteilten Chefs nicht übereinstimmen. Auch setzt Letta auf einige Abweichler der Fünf-Sterne-Bewegung, die die Fundamentalopposition des Ex-Komikers Beppe Grillo satthaben. Verhandlungen werden auch mit kleinen linken Oppositionellen geführt. Gewinnt Letta das Votum, kommt es vermutlich zu einer Neuauflage seiner Regierung – mit neuen Ministern.
2 Die Berlusconi-Partei spaltet sich, es entsteht ein neues „Zentrum“
Lettas Lieblingslösung: Die Moderaten verlassen die Berlusconi-Partei. Dafür gibt es konkrete Anzeichen. Einige Minister haben bereits gegen den von Berlusconi verordneten Rückzug protestiert. Offenbar sind etwa 20 Parlamentarier bereit, dem mächtigen Chef den Rücken zu kehren. Sollte es tatsächlich zur Abspaltung kommen, bekäme ein altes Projekt neuen Antrieb: die Gründung einer moderaten, wirtschaftsliberalen, proeuropäischen Zentrumspartei. Offenbar laufen seit Monaten Gespräche zwischen Ex-Christdemokraten, Ex-Technokratenpremier Mario Monti und frustrierten Berlusconi-Leuten. Dieses neue Zentrum würde Letta unterstützen.
3 Präsident Napolitano bildet eine Technokratenregierung
Staatschef Giorgio Napolitano will wegen der Wirtschaftskrise Wahlen verhindern. Sollte Letta nicht das Vertrauen ausgesprochen werden, wird Napolitano versuchen, ein Expertenkabinett zu bilden. Diese Regierung sollte das komplizierte Wahlrecht reformieren und das Budget für 2014 verabschieden. Im März wären dann Wahlen möglich.
4 Grillo und Berlusconi setzen sich durch: Ende November wird gewählt
Die Top-Populisten Silvio Berlusconi und Beppe Grillo pochen auf Wahlen im Herbst. Grillo rechnet mit Erfolgen und Berlusconi, der nicht kandidieren darf, mit Ablenkung von seinen Justizproblemen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2013)