Deutschland: Trotzige SPD und traurige Grüne

Kretschmann Lammert Gauck Merkel Vosskuhle
Kretschmann Lammert Gauck Merkel Vosskuhle(c) EPA (FRANZISKA KRAUFMANN)
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Merkel startet Sondierungen. Alles spitzt sich auf die Frage zu: Kommen höhere Steuern? Von den wohlklingenden Wahlprogrammen ist nicht viel mehr übrig als diese Frage. Die Grünen sind gespalten.

Berlin. Nikolaus oder Krampus, seufzen die Deutschen. Erst Anfang Dezember, schätzen viele, wird es eine neue Regierung geben. Am Freitag führt Merkels Union das erste Sondierungsgespräch mit der SPD. Aber damit hat der große Poker um eine Große Koalition erst begonnen. Dass sie Mitte November nach dem SPD-Parteitag steht, gilt als optimistische Variante. Wenn die roten Verhandler aus Angst vor ihrer Basis auf stur schalten, könnte Merkel noch die Grün-Karte ausspielen. Aber bei den Grünen, die nach ihrer Niederlage erst Trauerarbeit leisten müssen, bleibt vorerst alles offen: Was ist der richtige Kurs, wer gibt ihn vor?

Die Bürger plagt freilich eine ganz andere Sorge: Bringt der Krampus höhere Steuern? Von den wohlklingenden Wahlprogrammen ist nicht viel mehr übrig als diese Frage. Ausgelöst hat den Wirbel Wolfgang Schäuble. Der Finanzminister deutete an, man müsse der SPD wohl auch in Steuerfragen entgegenkommen. Tatsächlich basteln seine Beamten schon eifrig an einem Deal, den die angepeilten Partner nicht ausschlagen könnten – auch nicht die störrische Basis, die in einer Mitgliederbefragung entscheiden darf, ob sie ein Bündnis zulässt. Die Idee: Die Union lässt einen höheren Spitzensteuersatz zu. Dafür darf sie endlich die Kalte Progression entschärfen, das schleichende Ansteigen der Steuerlast durch die Inflation. Bisher scheiterte der Vorstoß an den rot-grün regierten Ländern. Der Haken dabei: Durch die „Reichensteuer“ kommt niemals so viel herein, wie die Entlastung bei der Progression kostet. Das ist der SPD also sicher zu wenig.

Erkämpft sie aber auch eine höhere Erbschafts- und Kapitalertragsteuer, hat Merkel ihr Wahlversprechen, keine Mehrbelastung zuzulassen, definitiv gebrochen. Ein Ausweg aus der schon vom Start weg verfahrenen Situation wäre, das Thema Steuern gar nicht anzurühren. Mehr am Herzen liegt den Genossen an der Basis ohnehin die soziale Gerechtigkeit, vor allem der allgemeine gesetzliche Mindestlohn. Hier scheint der Unterschied zur branchenspezifischen „Lohnuntergrenze“ der Union auf den ersten Blick nicht groß. Doch ökonomisch betrachtet ist er es, und Merkels Streitmacht wurde im Wahlkampf nicht müde, ihn zu betonen.

Realos versuchen Kurswechsel

Bleiben die Grünen als Alternative. Aber: „Wer, bitte schön, sind im Augenblick die Grünen?“ Das fragt Sozialministerin Ursula von der Leyen im „Spiegel“. Der Rückzug von Trittin, Roth und Künast lässt nicht nur die Partei verwirrt zurück. Immerhin: Das Image einer Verbotstruppe, die den Alltag der Deutschen bis zum Gemüsekonsum zu regeln trachtet, wollen alle loswerden. Der Realo-Flügel schart sich um die letzte Lichtgestalt, Winfried Kretschmann. Dass Baden-Württembergs Ministerpräsident mitsondiert, ist Zeichen eines leichten Kurswechsels. Er beklagt in der „Zeit“ auch die „Profilierung in verteilungspolitischen Fragen“ und die „Überbetonung der Sozialpolitik“ als Gründe für den Liebesentzug der Wähler.

Aber die alten Kämpfe, im Wahlkampf diszipliniert unter den Teppich gekehrt, drohen wieder auszubrechen. Der linke Flügel muss sich nur neu formieren, Trittin und Roth ersetzen. Als Fraktionschef steht Anton Hofreiter am Start. Der Verkehrsexperte besticht nicht nur optisch durch seine lange Mähne, er lässt auch programmatisch aufhorchen: Rot-Rot-Grün, also ein Bündnis auch mit der radikalen Linkspartei, dürfe man künftig nicht mehr ausschließen. Ein Signal, das ernsthafte Gespräche mit der Union wieder unwahrscheinlicher macht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2013)

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