Klüger: Papstbuch als "doppelte Ohrfeige"

Ruth Klüger im Film und im Gespräch: über Wien als "Stadt der Verluste", die Aufmärsche in Dresden - und Schwarzeneggers Glück, kein Deutscher zu sein.

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üdische Anwälte verteidigen Rechtsex treme, wenn diese von der Regierung am Demonstrieren gehindert werden? Klingt absurd - in Europa. In der US-     Bürgerrechtsorganisation ACLU sei das immer wieder der Fall, erzählt Ruth Klüger. Sie findet das gut: "Da geht es um die Grundsätze der Demokratie."

1992 wurde die 1931 in Wien geborene, in Kalifornien lebende, mehrfach preisgekrönte Literaturwissenschaftlerin schlagartig berühmt: mit ihrem Buch "Weiter leben. Eine Jugend". Erinnerungen an eine Kindheit als "Judenmädchen" in Wien, dann in Theresienstadt, Auschwitz, Christianstadt, wo sie wie durch ein Wunder überlebte. Trotzdem: Ein Verbot der deutschen NPD, ein europaweites Hakenkreuzverbot, ein Druckverbot von Hitlers "Mein Kampf" lehnt sie ab: "Das widerspricht der Meinungsfreiheit".

Dass Ruth Klüger im Gespräch mit der "Presse" so entschieden Position bezieht, ist erstaunlich auch nach dem, was vor wenigen Wochen in Deutschland passiert ist. Anlässlich der Trauerfeierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Bombardierung Dresdens hätte sie in Dresden einen Vortrag halten sollen. Als sie vom geplanten Aufmarsch Tausender Rechtsextremer erfuhr, sagte sie im letzten Moment ab - und erregte damit eine breite mediale Diskussion.

"Die Nachricht von diesem Aufmarsch war ein Schock, ich hatte nicht gewusst, dass so viele daran teilnehmen", reflektiert Ruth Klüger ihre Entscheidung. "Aber es war nicht so sehr Angst, wie die Zeitungen vermuteten, sondern Wut, und ein Gefühl im Magen, dass ich das nicht nötig habe. Ich wollte auch nicht Teil eines Polit-Theaters sein. Außerdem war es für mich eine Form des Protests." Die richtige, wie sie nach anfänglicher Unsicherheit glaubt: "Ich hatte nie so viel Erfolg mit einer Rede, wie ich mit dieser Absage hatte."

Der "Erfolg" zeigt nicht zuletzt die moralische Autorität, die Ruth Klüger in Deutschland genießt. Eine Autorität, die ohne jede Selbstgerechtigkeit auskommt, stattdessen offen, unsentimental und präzise die (eigenen) Wunden benennt. Wie etwa auch, wenn sie auf die viel kritisierte Passage im neuen Buch von Papst Johannes Paul II. zu sprechen kommt, die eine gedankliche Beziehung zwischen Holocaust und Abtreibung herstellt. "Das Papstbuch war für mich eine doppelte Ohrfeige, für mich als Jüdin und als Frau. Die eigentliche Beleidigung richtet sich gegen die Frauen, denn sie sind es ja, die mit den Nazi-Massenmördern gleich gestellt werden."

Nach Wien kehrt Ruth Klüger immer wieder zurück. Auch heuer, auch wenn sie in das Zelebrieren der Jubiläumsfeierlichkeiten nicht einstimmen kann. "Fast nichts" habe sie mitbekommen davon, gesteht sie, nur den Eindruck erhalten, dass hier "viel mehr gefeiert als getrauert" wird. Dass man einfach "fröhliche Urständ" feiere, irritiert sie. Kurioserweise wirkt sich die Politik der Zweiten Republik sogar auf ihr Leben im fernen Kalifornien aus. "Als Deutscher wäre Schwarzenegger bei uns nie zum Gouverneur gewählt worden", ist Klüger überzeugt. "Österreich war sehr erfolgreich mit seiner Selbstinszenierung, es wird in den USA immer noch als Nazi-Opfer gesehen." Für sie ist "klar, dass man sich in Deutschland mehr mit der Vergangenheit abrackert".

"Ich komm' nicht von Auschwitz her, ich stamm' aus Wien!" heißt eine Koproduktion von 3sat, ORF und BR-Alpha, die am Dienstag im Rahmen der Wiener Vorlesungen präsentiert wurde. ORF-Redakteurin und Filmemacherin Renata Schmidtkunz hat Klüger darin auf Erinnerungsgängen durch Wien begleitet, ihre "Stadt der Verluste". Verstümmelt war Klügers Kindheit schon lange vor Theresienstadt und Auschwitz. Mit sieben Jahren durfte sie auf keiner Parkbank mehr sitzen, nicht ins Kino, nicht in den Prater gehen, nicht Fahrrad fahren.

"Das war eine Einengung des Lebens zu einem Zeitpunkt, wo sich normalerweise alles erweitert", erzählt sie im Film: "Wenn nur Erinnerungen zwischen drei und sechseinhalb Jahren ungestört sind, dann ist das nicht so viel - aber scheinbar genug, um zurückzukehren, sich das noch einmal anzuschauen". Und versuchshalber das zu tun, was sie nie getan hat: etwa zum ersten Mal im Prater mit Ringelspiel und Riesenrad fahren - obwohl sie das Gefühl hat, dass das, "was unvollendet ist, unvollendet bleiben wird".

"Wo ich in Wien hingehe, berühre ich eine wunde Stelle. Nur eitern dürfen und sollen solche Wunden nicht, das kann durch Nachdenken und Reden verhindert werden", schrieb Klüger einmal. Das zeichnet sie aus: nachdenken, reden - genau hinsehen. Sie sieht die weltweit massive Kritik an Israel nicht per se als Beweis für einen "neuen Antisemitismus": "Kritik an Israel kann auch einfach Kritik an Israel sein." Da müsse man sich konkret den einzelnen Fall genau ansehen. "Das ist ja das Wesen der Demokratie - dass man genau hinsieht."

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