Bachmann-Preis: Vom verdümpelten Leben

Thomas Lang erhielt den Ingeborg Bachmann-Preis 2005 für seinen Text "Am Seil".

Im Vorjahr war alles klar. Es gab sehr bald einen Favoriten und der machte das Rennen. Heuer bei den "Tagen der deutschsprachigen Literatur" war die Sache komplizierter. Bis zuletzt rätselte man, wer der 29. "Bachmann-Preisträger" werden würde. Am Samstag, kurz vor zehn, machte Juror Klaus Nüchtern alles klar: "Grandios, wie hier der Sohn dem Vater bis auf die Arschritze nahe kommt", sagte er über Thomas Langs Text "Am Seil". Da konnte Juror Martin Ebel an der kammerspielartigen Vater-Sohn-Geschichte eines "verdümpelten Lebens" noch so sehr bemäkeln, dass es sich um einen typischen "Spinnen-Text" handle (Lang wurde von Burkhard Spinnen eingeladen), am einhelligen Lob der Jury änderte das nichts.

Als Konkurrentin für den Bachmann-Preis (22.500 Euro) blieb danach nur noch Julia Schoch übrig: Ihre Vermittlung preußischer Geschichte unter dem Titel "Der Ritt durch den Feind" hatte am ersten Tag die meiste Zustimmung erhalten. Dichte, Sorgfältigkeit und Genauigkeit überzeugten die Jury dann doch von Langs "Männerduell" (Ursula März), das seinen Höhepunkt erfährt, als der behinderte Vater den Sohn um Sterbehilfe ersucht. Irritiert war die Jury hier nur ein wenig über das offene Ende.

"Alles führe doch schließlich zu dem einen richtigen Ziel, alle Bewegung der Geschichte", heißt es in Schochs Text über einen Vortragsreisenden nach Südamerika. Daniela Strigl gefiel besonders die Darstellung des Verlustes politischer Glaubwürdigkeit, da ja "nur noch Redakteure an Verbesserungen" durch die Politik glauben. Schoch wurde nach der knappen Niederlage beim Hauptpreis wenigstens der "Preis der Jury" (10.000 Euro) zuerkannt.

Wieder spannend wurde es beim 3sat-Preis (7.500 Euro): Natalie Balkow gegen Anne Weber. Das Duell ging knapp für die titellose Erzählung über das Leben in einem Großraumbüro aus: Webers Schilderung des "Kapitalismus im Endstadium", in dem vom Schoko-Osterhasen ausgehend philosophiert wird, "will Balsam auf der Intellektuellenseele sein", so Spinnen.

Damit war Balkow Favoritin für den Ernst-Willner-Preis (7000 Euro). Wie mehrmals in den vergangenen Jahren kam es zum Abstimmungskrimi: Balkow erhielt keine absolute Mehrheit. Ex aequo hinter ihr: der gebürtige Bosnier Sasa Stanisic, der mit seiner Kindheitsgeschichte aus dem Krieg sehr kontroversiell diskutiert worden war, und Martina Hefter mit ihrer Bahnfahrt in die Kindheit. Beim Stechen der beiden setzte sich Stanisic knapp durch. Somit trat Balkows Liebesgeschichte, die Realität und Allegorie geschickt verschränkt, gegen die Kriegsgeschichte aus Sicht eines Kindes an. Bei der Jury siegte Balkow, das Publikum aber hatte sich bereits am Vortag per Internet entschieden: Die Mehrheit der 750 Stimmen war für Stanisic, der somit den Kelag-Publikumspreis (5000 Euro) bekommt.

Und was hat die überwiegend jungen Autoren noch so beschäftigt? Allerhand Existenzielles, etwa eine Zangengeburt. Die wird dann detailliert geschildert, dabei aber die weibliche Anatomie sowie gynäkologische Grundkenntnisse derart ignoriert, dass sich Juror Spinnen sogar mit seiner Lieblingsfeindin Radisch darauf verständigen möchte, gar nicht über den Text zu reden.

Weiterer kapitaler Absturz: Selbst mit größtem rhetorischen Kraftaufwand konnte Heinrich Detering seinen Schützling Klaus Böldl (in der Diskussion wohl nicht ganz zufällig einmal "Blödl" genannt) nicht retten. Deterings groß angelegte Verteidigung der Langweile bewahrte Böldls kulturhistorischen Spaziergang durch Passau nicht vor Strigls Urteil: zwischen Schüleraufsatz und Fremdenverkehrsprospekt.

Wie steht's sonst um das schon mehrmals totgesagte und ebenso oft wieder belebte Klagenfurter Wettlesen? Der aufmerksame Zuhörer Josef Winkler bewunderte das Selbstvertrauen der jungen Kolleginnen und Kollegen. Das war nicht als Lob gemeint.

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