Landestheater NÖ: Eine „Hexenjagd“ bis in die Logen

Landestheater NÖ: Eine „Hexenjagd“ bis in die Logen
Landestheater NÖ: Eine „Hexenjagd“ bis in die Logen(c) Fritz Novopacky/Landestheater Niederösterreich
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Die Münchner Regisseurin Cilli Drexel belebt zum Saisonstart in St. Pölten Arthur Millers Klassiker von 1953. Alexandra Henkel und Markus Hering brillieren als konsequentes Ehepaar Proctor, dem ganzen Ensemble gelingt eine packende Vorstellung.

Die Bühne des Landestheaters Niederösterreich wurde für die Aufführung von Arthur Millers Drama „Hexenjagd“ nach vorne ins Parkett gerückt. Hinten, wo sonst abgegangen wird, hat Christina Mrosek den Zuschauerraum symmetrisch noch einmal aufgebaut. Dort sitzt tatsächlich auch Publikum. Dazwischen steht leer eine dunkle Plattform. Ein Dorfplatz? Ein Richtplatz? Miller hat in seinem vor 60 Jahren uraufgeführten „The Crucible“ zwar auf die damals aktuelle Kommunisten-Hatz der Ära McCarthy angespielt, aber das Drama ist an der Oberfläche historisch, noch aus dem ersten Jahrhundert der Besiedelung Nordamerikas durch Puritaner.

Wir befinden uns in Salem, Massachusetts, im Jahre 1692, und werden gerade eben Zeugen, wie aus einem Streich pubertierender Mädchen eine infame Hexenjagd mit Dutzenden Opfern wird. Aus den ersten Reihen erheben sich Mädchen, sprechen das Publikum an, rasten aus. Bald wird es von überall her, auch von den Logen, Geschrei geben. Denn die Mädchen, von Pfarrer Parris (Michael Scherff) ertappt, retten sich in den Irrsinn. Überall sehen sie, angeführt von der rachsüchtigen Abigail Williams (Swintha Gersthofer), den Teufel am Werk. „Wie hoch ist sie geflogen?“, schreit es aus dem Publikum. Da wird es still im Saal. Die Erwachsenen mutieren bald zu willigen Vollstreckern, aus Ignoranz oder aus eiskaltem Kalkül. Paradebeispiele dafür liefern Tobias Voigt als inquisitorischer Pfarrer Hale und Jan Walter als Vertreter der Staatsmacht – Danforth.

Cilli Drexel (geboren 1975 in München) hat diesen Klassiker der Moderne mit sehr viel Gespür fürs Timing inszeniert, sie lässt die Zuseher in fast drei Stunden kaum zur Ruhe kommen, macht „Hexenjagd“ tatsächlich zu einer beklemmenden Übung in Massenwahn. Kreischende, zitternde, sich bald ihrer Macht bewusste Mädchen agieren wie ein gut geführtes Ballett, spielen die exaltierten Rollen tadellos, ergänzt von erfahrenen Charakterdarstellern wie Helmut Wiesinger als Giles Corey, der lustvoll Konflikte sucht, oder Christine Jirku als leidende Rebecca Nurse.

Ehebruch, Reue und Denunziation

Herausragend sind aber zwei Gäste des Ensembles: Alexandra Henkel und Markus Hering spielen das Ehepaar Proctor. John hatte eine Affäre mit Abigail (Hering lässt immer auch spüren, dass dieser Proctor Gefühle für sie hegte). Nun denunziert das Mädchen dessen fromme Gattin, Elizabeth, als Hexe. Sie könnte sich durch Lügen retten. Weil die Proctors aber letztendlich nicht fähig sind, der Wahrheit abzuschwören, wird dieses zynische Stück zu ihrer ganz persönlichen Tragödie. Schutzlos, in Unterwäsche, stehen sie vor ihren falschen Richtern. Henkel und Hering spielen ihre Parts am Anfang gelassen, fast zurückhaltend. Nur manchmal bemerkt man im Aufbrausen des Protagonisten, dass längst schon etwas faul ist bei diesen Siedlern, die ihre Gier hinter Frömmelei verstecken, voran der profitorientierte Pfarrer.

Die Proctors sind im Strudel des Wahnsinns, der sich immer schneller dreht, das ruhende Zentrum, selbst in der Verzweiflung und in der Reue, wenn sich ihre Menschlichkeit besonders stark zeigt. Doch dann, in der Entscheidung, kehren sich diese beiden plötzlich nach innen, um entschlossen ihr Schicksal auf sich zu nehmen. Ein beachtliches Stück Seelenarbeit wird vorgeführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2013)

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